seit 1994

Erlebnispädagogik in der Natur

von Hubert Kölsch und Franz-Josef Wagner

 

Leseprobe

 

 

Vom Rhythmus des Lernens

– Abfolgen –

 

 

 

Anfang

Gestern haben wir einen neuen Gymnastiklehrer gekriegt.

„Ich heiße Hektor Schöffler“, hat er zu uns gesagt.

„Und ihr?“ „Wir nicht!“ hat Fabian gerufen und da

haben wir alle lachen müssen.

Jean-Jacques Sempé

 

Jedes Seminar bedeutet für Teilnehmer und Trainer den Beginn eines gemeinsamen Lernprozesses. Damit sind Erwartungen, Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche verbunden. Zwei spezielle Situationen sollen näher betrachtet werden:

 

  • Einige Teilnehmer kommen mit Angst vor physischer (und psychischer) Überforderung. Sie finden ein Umfeld vor, das ihnen unbekannt ist, sie haben in den Medien über Survival-Trainings gelesen, bei denen sich die Teilnehmer nur von Regenwürmern und Wurzeln ernährten, vor ihrem geistigen Auge sehen sie Bilder vom Bungeespringen, Canyoning und Raften. Hinzu kommt, dass die Informationen im Vorfeld meistens nur recht spärlich fließen: Die Inhalte des erlebnispädagogischen Seminars werden auf die natursportlichen Aktivitäten reduziert.

 

Diese Ängste und Bedenken können abgebaut werden, wenn sie zugelassen werden, wenn Teilnehmer den Raum und die Atmosphäre erleben, diese Ängste zu äußern. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass der Trainer so genau wie möglich über die geplanten Aktivitäten informiert.

 

  • Eine zweite typische Anfangssituation ist die Erwartung von Urlaub, Action und Incentiv. Die äußeren Gegebenheiten und die Aktivitäten drängen – aus Sicht der Teilnehmer – pädagogische Überlegungen und Lernthemen Spaß und Lernen verbinden Hintergrund. Für den Trainer stellt sich die Aufgabe, mit den Teilnehmern Lernziele des Trainings zu erarbeiten und festzulegen. In manchen Fällen wird dies nicht am Anfang des Seminars, sondern erst nach einigen Aktivitäten gelingen. Dies mag darin begründet liegen, dass viele Teilnehmer sich unter der Methode „Erlebnispädagogik“ nichts oder nur wenig vorstellen können.

 

Für beide Situationen hilft der Einstieg mit einer kleinen Aktion. Bei einer Initiativübung wie „Balken“ oder „Blind nach Nummern aufstellen“ wird das Besondere eines erlebnispädagogischen Trainings schnell deutlich und die Teilnehmer erleben, was es heißt, Erfahrungen zu reflektieren.

 

Am Anfang eines Seminars müssen Informationen zwischen allen Beteiligten ausgetauscht und Absprachen über den Umgang miteinander getroffen werden. Die allgemein üblichen „Spielregeln“ (Offenheit nach innen, Verschwiegenheit nach außen, Verantwortlichkeit aller für das gemeinsame Lernen, Ansprechen von Störungen, Pünktlichkeit) sollten bei erlebnispädagogischen Trainings sinnvollerweise um zwei weitere ergänzt werden:

 

  • Sich auf Neues einlassen. Vieles vom dem, was die Teilnehmer erleben, wird für sie „fremd“ sein. Die grundsätzliche Bereitschaft zu neuen Erfahrungen hilft sowohl den Teilnehmern als auch dem Trainer.

  • Stopp sagen. Als Pendant zur ersten Regel haben die Teilnehmer die Möglichkeit, „STOPP!“ zu sagen – wenn sie sich unsicher fühlen, Ängste bedrohlich wirken, Grenzen erreicht sind und diese nicht überschritten werden sollen. Diese Absprache ist Ausdruck für die Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer, sie erfordert von allen Beteiligten die Akzeptanz individueller Unterschiede.

 

Anfangssituationen treten aber auch bei jeder einzelnen Aktivität auf:

 

  • Die technisch-methodische Einweisung vermittelt den Teilnehmern die Informationen, die sie unbedingt benötigen, um die Übung in Angriff nehmen zu können. Sie muss Spielregeln für erlebnispädagogische Trainings klare Einführungen klar, verständlich und umfassend sein, den Kenntnisstand der Teilnehmer berücksichtigen, alle Sicherheitsaspekte behandeln und – vor allem bei physisch und psychisch fordernden Aufgaben – die Angst vor Überforderung nehmen.

  • Die Hinführung zu den Lernzielen und Lernthemen der Aktivität weist eine große Spannbreite auf, die von der Intention des Trainers abhängig ist. So kann bspw. die Übung „Seilquadrat“ ohne thematische Einstimmung durchgeführt werden, der Fokus liegt dann auf allgemeinen Aspekten von Zusammenarbeit. Im Sinne eines „Frontloading“(vgl. Kapitel „Lernmodelle“) kann aber bereits vor der eigentlichen Übung die Thematik, um die es bei der Übung geht, angesprochen werden.
    Grundsätzlich muss diese lernzielorientierte Einführung auf die Teilnehmer einerseits und die Rahmenbedingungen des Trainings andererseits abgestimmt sein.

 

 

 

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