seit 1994

Heilpädagogische Mountainbike Bewegungsbaustelle

Der Aufbau eines Bike-Trainings-Parcours

 

 

Peter Alberter 

 

 

 

Bei einer Mountainbike-Bewegungsbaustelle denkt man selten an eine heilpädagogische oder ergotherapeutische Förderung von Kindern und Jugendlichen. Das ist auch gut so; denn mit Kindern und Jugendlichen einen Bike-Trainings-Parcours aufzubauen, soll zunächst und in erster Linie Spaß machen und nicht sofort heilpädagogisch und/oder ergotherapeutisch funktionalisiert werden.

 

Dementsprechend bestand das Ziel des Angebots, das dieser Bericht beschreibt, zunächst darin, die Faktoren "Spaß an der Bewegung" und "Freude am gemeinsamen Planen und Bauen" miteinander zu verbinden und erst in zweiter Linie heilpädagogische und psychomotorische Lernziele zu formulieren. Im Folgenden beschreibe ich, welche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten selbst gestaltete Mountainbike-Strecken bieten. Der Beitrag dokumentiert einen Workshop für Erwachsene , der ein Modell darstellen sollte, wie das Angebot auch in der teil-/stationären Erziehungshilfe für Kinder und Jugendliche eingesetzt werden kann.

 

 

Ziele

 

Mit einfachen Alltagsmaterialien soll ein Mountainbike- Trainings-Parcours entstehen, der es in sich hat und ein exemplarisches Lernfeld für Kick- and Flow-Erlebnisse darstellen soll. Im Allgemeinen folgen den Phasen "Planen" und "Bauen" die Aktivitäten "Ausprobieren" und "Bewerten". Dem Planen kann auch eine Übungs- und Praxiseinheit "Biken" vorausgehen (siehe dazu die Ausführungen "Einstieg" im nächsten Abschnitt).

 

Grundsätzlich erfordert das Trial-Biken einen gezielten und überlegten Krafteinsatz, Balance und Propriozeption, vorausschauende Wahrnehmung und schnelle Entscheidung, Konzentration und Mut. Spielerisch geschult werden Körper- und Bike-Beherrschung. Sie sind wichtiger als Kraft und KOlldition. Die Lust an der Bewegung und Körpererfahrung helfen, selbst schwierige Passagen auszuprobieren und einzuüben. Kontrolliertes Fahren macht Spaß und Lust auf mehr. Das Mountainbike ist dafür das ideale Sportgerät und lädt geradezu ein, neue befahrbare Wege zu suchen und immer größere Hindernisse zu überwinden, steile und gewagte Abfahrten zu bewältigen, ohne absteigen zu müssen. Nach der Logik "Versuch, Mut und Irrtum" lassen werden die Wirksamkeit und der Erfolg von Training und Übung unmittelbar anschaulich und direkt erfahrbar.

 

Biken kann gerade für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche aus der teil-/stationären Erziehungshilfe eine alternative Freizeitbeschäftigung sein. Auch in der Freizeit zeigen sie vielfach wenig Lust auf eine sinnvolle und selbst organisierte Beschäftigung und sind kaum einmal bereit, Leistung zu zeigen. Wo nicht "rumgammeln" angesagt ist, dominieren passive Konsum-Erlebnisse aus zweiter Hand wie Musikhören, Fernsehen- und Videoschauen und Computerspiele, oft gepaart mit einer sofortigen oralen Bedürfnisbefriedigung (Genussmittel-Konsum). Andere Angebote werden in der Regel mit "Kein Bock! Is ja langweilig" kurz und knapp kommentiert. Dabei handelt es sich bei solchen destruktiven Redewendungen ("Killerphrasen") oft nur um Verhaltensweisen, das Gesicht zu wahren und sich vor langjährig erfahrenen Verletzungen zu schützen.

 

Ansprechende erlebnispädagogische Aktivitäten können solchen Kindern und Jugendlichen helfen, sich auf eine Alternative einzulassen und sich den Herausforderungen "ausprobieren", "Nervenkitzel spüren", "wagen", "durchkommen" oder "noch einmal probieren" zu stellen, sich mit der Sache zu identifizieren und bis zum (Projekt-oder V eranstaltungs- )Ende durchzuhalten. Nebenbei - sozusagen als positiver Nebeneffekt -lernen die Kinder und Jugendlichen bei der Bewegungs-Baustelle, produktive Arbeitsleistung positiv zu erleben und genau zu arbeiten, Verantwortung für das Handeln zu übernehmen und im Team vorzugehen. So werden die Kinder und Jugendlichen über Handlungen und sachbezogene Auseinandersetzungen schrittweise mit den Prinzipien vertraut, die später in der Berufswelt für sie von Bedeutung sein werden.

 

Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass die psychische Entwicklung des Menschen buchstäblich über das Begreifen erfolgt, jedenfalls im frühen Lebensalter wesentlich über die Tastsinne befördert und nach und nach über die anderen hinzutretenden Sinne ergänzt wird. Diese basalen Erfahrungen können die Kinder und Jugendlichen auch auf der Bewegungsbaustelle machen. Nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum" erleben sie geradezu selbstevaluativ die Wirksamkeit ihres Tuns. Und sie lernen sich im gemeinsamen Tun selbst neu kennen, benehmen sich oft in einem bis dato unbekannten Maße rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst. Planen, entwerfen, realisieren und das Ergebnis auf seine Eignung testen macht Spaß und weckt Lust auf mehr. Die Kinder und Jugendlichen vermögen auf diese Weise längere Phasen hoher Konzentration durchzustehen. Der hohe Aufforderungscharakter, den eine Mountainbike-Bewegungsbaustelle hat, und der Wunsch, die später mit dem Bike zu bestehenden Herausforderungen selbst zu bauen und anschließend zu testen, hilft ihnen, dabei zu bleiben und das Werkzeug nicht - wie so oft - vorzeitig aus der Hand zu legen.

 

 

Ablauf

 

(1) Einstieg und Einstimmung

 

Je nach vorhandenen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen kann zu Beginn eines entsprechenden Projektes die Hinführung zum Mountainbike "auf dem Lehrplan stehen": Geschicklichkeits-fahrvermögen und Beherrschen der Bike-Technik - vor allem das Schalten und das Bremsen - wollen gelernt sein, wenn man später das Ergebnis des Bauprojekts beherrschen möchte. Fahrtrainings nach dem Motto "Vorführen und Nachahmen" sowie kooperative Bewegungsspiele wie die folgenden können einen solchen Einführungskurs abrunden:

 

• "Tritt für Tritt" - kooperative Bewegungs- und Teamaufgaben rund ums Rad:

Ziel der anregenden und gleichzeitig auffordernden Fahraufgaben ist es, dass sich die Mitglieder der gebildeten (Bau- )Gruppe näher zu kommen. Dazu gilt es verschiedene Kooperations- und Partnerübungen mit dem Bike zu lösen, wie etwa zu zweit gemeinsam, mit der Hand am Lenker des Partners und umgekehrt, einen Slalom Parcours zu meistern;

 

• "einen blinden Radfahrer mit dem Bike begleiten":

Diese Übung besteht darin, eine/n Biker/in, demlr mit einem Tuch die Augen verbunden worden sind, auf dem Rad zu begleiten, d.h. sie/ihn zu stützen und (verbal, manuell) zu steuern.

 

Diese Übungen und Spiele helfen, das Mountainbike als Spiel-, Balance- und Sportgerät kennen zu lernen. Solche Motivations- und Einführungsphasen und bike-technischen Übungen können und sollten bei entsprechenden Fahrvermögen der Kinder und Jugendlichen auch nach Fertigstellung des Mountainbike-Parcours immer wieder gewissermaßen als didaktische Schleifen in das Spiel einbezogen werden.

 

(2) Planen

 

Welche Parcours-Teile gebaut werden sollen/können, hängt entscheidend vom zur Verfügung stehenden Material ab. Teil der Planung sollten deshalb auch Überlegungen sein, welches Material wo besorgt werden kann: Bretter aus der Sägerei, Abrisshölzer, nicht mehr benötigte Gerüststangen, ausrangierte Euro-Palletten, beschädigte Schalungen, Tore und Türen, Metallstangen usw. Bereits bei der Materialsuche ist Kreativität etforderlich. Sie ist zeitintensiv, senkt aber die Kosten für den Parcours deutlich.

 

Die Planungen sollten vorsehen, dass die Anlage insgesamt wie auch einzelne Bausteine ohne zu großen Aufwand variierbar sind, ein Provisorium bleiben. Gleichwohl müssen alle Bausteine sicher sein und funktionieren. Sicherheitsfragen sollten systematisch in die Planungen mit einbezogen werden: Wie lassen sich die einzelnen Streckenteile/Übungen absichern? Wie schützt man die fertiggestellte Anlage gegen Benutzung ohne Aufsicht? u.ä. Ansonsten bedarf es als Voraussetzung bei den Kindern und Jugendlichen nur noch funktionsfähiger stabiler Mountainbikes und einer entsprechenden Fahrerausrüstung. Die Planung sollte zum einen die Projektierung der Strecke und Anlage und zum anderen die Konstruktion der einzelnen Bausteine der Bewegungsbaustelle umfassen:

• schräge Ebenen,

• atemberaubende Wippen (siehe Bilder),

• steile Abfahrten,

• "heiße" Überfahrten mit Zwischensprung,

• knifflige Stop and Go-Balance-Stationen,

• Slalomstrecke,

• waghalsige Rampen,

• Treppenaufstieg,

• kurze Singletrail-Passagen usw.

Je nach Interesse der Kinder- und Jugendlichen und den beabsichtigten Zielen lässt sich die gesamte Bandbreite von Hindernissen konstruieren. Neben dem benötigten/zur Verfügung stehenden Baumaterial spielt auch das zu bebauende Gelände eine wichtige Rolle und muss von Anfang an mit in die Planungen einbezogen werden.

 

 

(3) Bauen

 

Anschließend gilt es, entsprechend der Planungsskizzen das Gelände zu gestalten und die einzelnen Bausteine zu realisieren. Wenn mehrere Kinder und Jugendlichen mitwirken und genügend Mitarbeiter/innen vorhanden sind, eignen sich kleine Arbeitsgruppen, die sich jeweils einzelne Abschnitte vornehmen. In der Regel ist der grundständige Aufbau eines Parcours ein Projekt in mehreren Abschnitten. Handelt es sich nur um die Korrektur der Strecke oder um die Ergänzung um neue Bauteile, dann können die Arbeiten auch an einem Stück erfolgen und zum Abschluss gebracht werden. Hämmern, Schrauben und Sägen sind bei den Kindern und Jugendlichen sehr beliebt. Die Verantwortlichen haben dabei besonders auf die Sicherheit der Beteiligten zu achten.

 

 

(4) Testen

 

In dem Maße, wie die Baustelle konkretere Formen annimmt, steigt der Reiz, die geschaffenen Ergebnisse und dann die gesamte Anlage zu testen. Dazu sollten folgende allgemeinen "Spielregeln" gelten:

 

Das Mountainbiken ist nur mit Helm erlaubt.

Die Strecke verläuft entgegen dem Uhrzeigersinn und entlang der vorgenommenen Markierung.

• Ziel ist es, den Parcours mit möglichst wenig Bodenkontakten zu meistern.

• Das Gewicht des Fahrers gehört auf die Pedale und nicht in den Sattel.

• Der Lenker ist stets fest mit beiden Händen zu halten.

• Der Biker muss seine Fahrt so anlegen, dass er stets alles im Griff hat.

• Wer auch einmal etwas riskieren und ausprobieren möchte, sollte dies mit Hilfestellung und Handführung der Verantwortlichen tun.

• Balance ist eine Frage der Konzentration und Propriozeption.

• Mountainbiken verlangt vielfach schnelle Entscheidungen ("Soll ich am Hindernis rechts vorbei fahren oder überfahren?").

• Mit dabei sein ist alles, nicht von der "Acapulco"- Wippe fallen das andere.

 

Die "Adrenalin-Junkies" können es kaum erwarten, bis die Strecke nach Fertigstellung frei gegeben wird. Andere ziehen es vor, erst einmal zuzuschauen und sich als Streckenposten zur Verfügung zustellen. Zunächst gilt es, die Startreihenfolge zu vereinbaren oder auszulosen. Und dann geht es in rasanter Fahrt über die Acapulco-Wippe - die Könner nehmen sie im Sprung - und gleich anschließend über die unterbrochene "Spring-gleich-drüber"-Brücke. Mit Vollgas muss die schräge Ebene genommen werden, downhill geht es auf der anderen Seite wieder hinunter und mit Vollbremsung und Powerslide in die Haarnadelkurve. Wieder raus aus dem Sattel, rein in die Pedale und im Wiege-Schritt ordentlich Gas geben, stop and go die Treppen hoch… zurück zu Start und Ziel. Zeit stoppen. Wer es geschafft hat, ist geschafft. Zurücklehnen, entspannen, die anderen Fahrer beim "Heizen" beobachten und fachsimpeln überbrücken die Zeit bis zum nächsten Einsatz. Bei den Kindern und Jugendlichen sind nach Absolvieren des Parcours die Lust, die Angst und der Stolz, die sie angesichts der Herausforderungen empfinden, deutlich zu spüren. Bei den meisten stellen sich schnell Übungseffekte ein. Der Kompetenzzuwachs lässt die Rundenzeiten immer schneller werden und verlangt bald schon nach Variationen der Herausforderungen.

 

 

(5) Bewerten

 

Nach den ersten Runden steht die Auswertung des Tests an. Die einzelnen Parcours-Stationen wie auch dies gesamte Anlage werden bewertet. Gegebenenfalls werden für notwendige Änderungen Lösungsvorschläge erarbeitet.

 

 

Fazit

 

Mountainbike-Parcours lassen sich nahezu auf jedem Gelände verwirklichen, stellen also geradezu ein universelles Medium der Erlebnispädagogik dar. Sie sind vergleichsweise kostengünstig und für die Kinder und Jugendlichen höchst attraktiv. In der Regeln sind unter den Mitarbeitern/innen die Kompetenzen vorhanden, um eine solche Bewegungsbaustelle einzurichten und einen Parcours herzustellen. Und die Kinder und Jugendlichen lassen sich von Anfang in das Projekt einbeziehen.

 

 

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