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2005 Podiumsdiskussion: (K)ein Urlaub unter Palmen

beim Ernst Reinhard Verlag

 

Rückblick: „(K)ein Urlaub unter Palmen für schwierige Jugendliche? Chancen und Grenzen der Erlebnispädagogik als erzieherische Hilfe“ - Podiumsdiskussion am 12.4.2005 im Münchner Waisenhaus

 

Erlebnispädagogische Maßnahmen in Rahmen der sog. Intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung sind umstritten und Behauptungen über teure „Erlebnistrips“, die nur geringe pädagogische Erfolge erzielten, laden zur Debatte ein. So veranstalteten der Ernst Reinhardt Verlag und das Münchner Waisenhaus eine Podiumsdiskussion, um der Frage nach Chancen und Grenzen der Erlebnispädagogik als erzieherische Hilfe nachzugehen. Eingeladen war in erster Linie Fachpublikum aus sozialpädagogischen Einrichtungen und Institutionen der Jugendhilfe wie z. B. Jugendämtern, Erziehungsheimen und Beratungsstellen.

 

Zum Auftakt der Veranstaltung erläuterte Prof. Werner Michl die Vorteile der pädagogischen Arbeit im Ausland. Hier sei vor allem die Tatsache, dass die Natur selbst den Jugendlichen die Grenzen setze, zu betonen. Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Ronaldo Ruthner stimmte ihm hier zu: Vor allem für Jugendliche mit Suchtproblemen oder schweren Bindungstörungen sei eine völlig neue Umgebung förderlich. Wie Prof. Michl erläuterte, fänden die meisten Maßnahmen jedoch entgegen vielen Presseberichten nicht in Spanien oder Griechenland statt, sondern in recht unwirtlichen Gegenden wie z.B. Finnland, wo eine Reduzierung des gesamten Lebensstils Teil der Maßnahme darstelle.

 

Karin Reiser, Ministerialrätin im Bayerischen Staatsministerium, brachte den Standpunkt der Landesregierung in die Diskussion ein: Ihr ginge es nicht um die Kosten der Erlebnispädagogik. Vielmehr hätte es oft den Anschein, dass Maßnahmen im Ausland nur als Ultima ratio, als letzte Möglichkeit, gesehen würden, schwierige Jugendliche aus ihrem problematischen Umfeld zu reißen. Die Jugendämter stünden, so Karin Reiser, z.T. unter enormen Druck von Seiten der medialen Öffentlichkeit und würden aus Zeitmangel die Einzelfälle nur unzureichend überprüfen. Hierauf entgegnete der Leiter des Stadtjugendamtes München, Dr. Hubertus Schröer, das Ministerium würde die Tatbestände dramatisieren. Der Stadtjugendring gehe von einer Erfolgsquote von 60% aus, wobei angesichts des Schweregrades der Fälle die Ziele sehr niedrig gesteckt seien. Eine wichtige Vorraussetzung für den Erfolg einer Maßnahme sei jedoch immer die Berücksichtigung des ‚Nachher’: Was passiert, wenn die Jugendlichen nach Deutschland zurückkommen?

 

Damit die richtigen Diagnosen gestellt und entsprechende pädagogische Maßnahmen ausgewählt und schließlich auch erfolgreich durchgeführt werden könnten, bedürfe es strenger Ausbildungskriterien für die Erlebnispädagogen, wie Peter Alberter vom KAP-Institut erläuterte. Nicht jeder Pädagoge, „der schon immer mal nach Griechenland wollte“, könne diese Aufgabe übernehmen.

 

Auch Dipl.-Psych. Walter Krug, widersprach der Meinung des Ministeriums. Die Tatsache, dass Auslandsmaßnahmen oft als letzte Maßnahme eingesetzt würden, beruhe eher darauf, dass es für Kinder, die noch nicht „ganz unten“ seien, keine Bewilligung für entsprechende pädagogische Maßnahmen gäbe. Vor allem für Jugendliche, die bereits durch mehrere Einrichtungen gewandert seien und auf Gesprächsebene nur noch schwer zugänglich seien, biete die Erlebnispädagogik eine neue Chance.

 

Grundsätzlich vertraten alle Podiumsteilnehmer die Meinung, dass Erlebnispädagogik keinesfalls „Urlaub unter Palmen“ sei, und in ausreichend geprüften Einzelfällen gute Erfolge erziele. So ging es in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum vor allem um die Frage der Einsetzung erlebnispädagogischer Maßnahmen bei weniger schwierigen Fällen oder als präventive Maßnahme z. B. im schulischen Bereich.

 

Großer Unmut regte sich im Publikum, als Karin Reiser auf die Möglichkeit geschlossener Unterbringung als Alternative zu erlebnispädagogischen Maßnahmen verwies. Die meisten Besucher, die auch nach dem Ende der Veranstaltung bei einem kleinen Imbiss noch rege weiterdiskutierten, ließen diese Möglichkeit als Alternative sicherlich nicht gelten.

 

Podiumsteilnehmer waren:

Dipl.-Psych. Walter Krug (Leiter des Kinder-zentrums St. Vincent in Regensburg)

Peter Alberter (Geschäftsführer des KAP-Instituts, Regensburg)

Prof. Dr. Werner Michl (Professor für soziale Arbeit an der Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg und Herausgeber der erlebnispädago-gischen Buchreihe „erleben und lernen“ im Ernst Reinhardt Verlag)

Ministerialrätin Karin Reiser (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen)

Dr. Ronaldo Ruthner (Kinder- und Jugendpsychiater, Leiter des psychotherapeu-tischen Heimes „Jugendhaus Adalbertstraße“, München)

Dr. Hubertus Schröer (Leiter des Stadtjugendamtes München)

Moderation: Michael Harles, Bayerischer Rundfunk

 

Johanna Meister/Regina Wille
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