seit 1994

Kooperative Abenteuerprojekte

in der Heim- und Heilpädagogik

 

Fachvortrag zur 21. Bundestagung der katholischer Einrichtungen der Heim- und Heilpädagogik vom 16. - 18. Sept. 1997 in Würzburg. Veröffentlicht in "Leben lernen" Verband der kath. Einrichtungen der Heim- und Heilpädagogik (Hrsg.), Freiburg im Breisgau, 1998

 

Peter Alberter

 

 

Kooperative Abenteuerprojekte können bei schwierigen Kindern und Jugendlichen neue Entwicklungen in Gang setzen, bei denen die stationäre Erziehungshilfe oftmals keinen Ansatz mehr zur Veränderung findet. Die kooperativen Abenteuerprojekte des K.A.P Instituts Regensburg, in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e. V., bieten den Kindern, Jugendlichen und auch den Erzieher/-innen, Erlebnis, Grenzerfahrungen, Gemeinschaft, Abenteuer, Lust und gute Laune. Die Maßnahmen sind in einen strukturierten Rahmen eingebettet. Sie vermitteln den Kindern und Jugendlichen Sicherheit und erlauben ihnen, sich offen und genießerisch mit den Abenteuern auseinanderzusetzen. An die Kinder und Jugendlichen werden handfeste, lustvolle und herausfordernde Anforderungen gestellt, die sie nicht mit einem Versagenserlebnis in Verbindung bringen. Die Erlebnisprojekte beziehen bewußt und zielgerichtet pädagogische Wirkungen ein. Dies geschieht durch vorherige Planung, klare Formulierungen und Kontrollen der pädagogischen Ziele. Die Jugendlichen erhalten Raum und Zeit, in einem geschützten Erlebnis- und Erfahrungsraum sich selbst und etwas für sich zu erleben. Sie können elementare und archaische Lebenserfahrungen machen, die den Jugendlichen in ihrer Kindheit vorenthalten wurden. Sie können einen direkten Zusammenhang von Handlung und Wirkung, Selbstbestimmung und Abhängigkeit erkennen. Die Erlebnis- und Erfahrungsräume helfen ihnen dabei, Selbsterfahrungen zu machen, Handlungskompetenzen zu erlernen und Eigen- und Gruppenverantwortung zu übernehmen. Neben dem berechtigten Wunsch nach "action" und "fun" erleben die Jugendlichen gemeinsam mit den Betreuern das Gefühl von Teamwork, Zusammenhalt und Gemeinschaft. Für die Beziehung zwischen den Betreuern und den Jugendlichen ist die Tatsache, daß die Objekte - die Natur, die erlebnispädagogischen Aufgaben, das Schiff, der Fels usw. - als Medium zwischen sie treten, von großer Bedeutung. Im Vordergrund steht gemeinsames, ganzheitliches Erleben, Spaß und Action haben, statt einer primär kognitiven und verbalen Auseinandersetzung (Planspiele!).

 

Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß meines Erachtens - im Sinne eines ganzheitlichen Erlebnisses und einer kognitiven Verarbeitung - die Reflektion, der freie, ungezwungene Austausch über das Erlebte auf jeden Fall dazugehört. Es ist darauf zu achten, gerade für unsichere Jugendliche, einen Rahmen zu schaffen, in dem sie sich ermutigt fühlen, ungezwungen, gerne und unzensiert von dem Erlebten zu erzählen. An Stelle der Second- Hand-Sensationen aus dem Fernseher erleben die Teilnehmer echte Abenteuer hautnah, und vor allem mit allen kognitiven und sensorischen Sinnen.

 

 

 

1. DIE VORBEREITUNGSPHASE VON ERLEBNISPÄDAGOGISCHEN PROJEKTEN

 

Die Vorbereitung ist das A und 0 eines erlebnispädagogischen oder kooperativen Abenteuer-Projektes. Bei gut und detailliert vorbereiteten Projekten erhalten die Jugendlichen und die Betreuer/-innen bereits im Vorfeld das Gefühl von Teamwork, Zusammenhalt und Gemeinschaft. Die Teilnehmer haben in einem geschützten Rahmen die Möglichkeit, ihre Erwartungen, Befürchtungen, ihre Ängste und ihre Freude mitzuteilen. Im Vordergrund steht zunächst eine primär kognitive und verbale Auseinandersetzung. Jeder stellt sich in Gedanken das gemeinsame erlebnispädagogische Projekt vor. In der kreativen Brainstormingphase haben die Teilnehmer die Möglichkeit, Wünsche und Fragen zu formulieren und Ideen mit einzubringen. So haben sie die Möglichkeit, ihr Projekt eigenständig zu kreieren, auszubauen, oder nach Interessen Modifikationen vorzunehmen. In der zweiten Phase überlegen wir gemeinsam, was während eines Projektes alles passieren kann. Meist nennen die Teilnehmer denkbare und unvorstellbare Unfälle und Katastrophen. Mit der Frage: "Was machen wir, wenn ...!" lenken wir die Vorstellung von Unfällen und Katastrophen zum konstruktiven Hilfeplan. Mit diesem Sicherheitskonzept möchten wir die Jugendlichen bereits in der Planungsphase mit eventuell auftretenden Problemen bekannt machen und sie anregen, sich gedanklich damit auseinander zu setzen. Für das Projekt stellen wir gemeinsam Sicherheitskonzepte und für alle verbindliche Sicherheitsregeln auf. So können die Teilnehmer Problemsituationen gedanklich antizipieren und sich bereits im Vorfeld Problemlösestrategien aneignen, um auf Probleme gelassener reagieren zu können. Dies fördert nicht nur die allgemeine Gruppenverantwortung, sondern hat auch das Ziel, daß die Jugendlichen mehr Verantwortung für sich übernehmen und diese nicht in erster Linie auf die Betreuer/-innen abwälzen. Danach beginnen wir mit dem Verteilen der ersten Verantwortlichkeiten. Wer kümmert sich um was? Wer ist für was in der Gruppe verantwortlich?

 

Ziel der Vorbereitung ist somit:

(I) Durch spannend verpackte Informationen über das Projekt wird das Interesse und die Neugierde der Jugendlichen geweckt. Visuelle Veranschaulichung und kreative Kommunikationsformen (lustige thematische Comics zum Einstieg oder Geschichten über diverse Expeditionen) sind hierbei von großer Bedeutung.

(2) Durch das Geben von Informationen wird eine erste Vertrautheit mit der zu erwartenden Situation geschaffen. Die Teilnehmer werden dabei nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern sensibel auf die zu erwartenden Situationen vorbereitet. So können sie sich psychisch und materiell auf das Projekt einstellen.

(3) Sie können sich bereits vorab mit dem Projekt identifizieren, es zu ihrer eigenen Sache machen. Die Motivation zur Mitarbeit wird damit, sowohl in der Vorbereitungsphase wie auch in der eigentlichen Durchführung, deutlich gesteigert.

 

 

 

2. DIE WICHTIGSTEN ZIELE DER KOOPERATIVEN ABENTEUERPROJEKTE:

 

Die kooperativen Abenteuerprojekte versuchen, das Selbstwertgefühl der Jugendlichen zu steigern. Die erlebnispädagogischen Projekte bieten als integrierter Bestandteil des Erziehungsplanes Erfahrungsräume an, die in der Persönlichkeitsbildung und im sozialen Lernen bei Jugendlichen nur schwer zu ersetzen sind. Wir möchten den Jugendlichen vermitteln: "Du bist jemand! Du kannst was! Du stellst etwas dar! Auf Dich habe ich mich verlassen können!" Die kooperativen Abenteuerprojekte zeigen den Jugendlichen Ursache und Wirksamkeit ihres Handelns. Wegen der einfachen Strukturen und der unmittelbaren Erlebbarkeit werden im erlebnispädagogischen Rahmen Situationen und Probleme schnell und deutlich sichtbar. Die zeitliche Abfolge zwischen einer Aktion und dem Eintreten einer Konsequenz ist bei erlebnispädagogischen Maßnahmen relativ kurz und hat deshalb für die aktuelle Problembewältigung eine hohe Bedeutung. Der Jugendliche kann in kurzen Zeiträumen Ursache und Wirkung seines Handelns erkennen.

 

Dies wird z. B deutlich beim:

• Ertragen der Konsequenzen, wenn die Ausrüstung unvollständig oder falsch gewählt wurde, oder die Turnschuhe und Kleidungsstücke sorglos im Freien liegen und durch einsetzenden Regen durchnäßt werden, oder ein größerer Umweg in Kauf genommen werden muß, wenn der Weg falsch oder nicht sorgfältig genug ausgewählt wurde.

• Erleiden von Entbehrungen, wenn zu wenig Wasser oder Feuerholz geholt wurde, wenn der Gaskocher nicht auf Funktionstüchtigkeit überprüft wurde.

• Drücken des Rucksackes, wenn zuviel unnütze Gegenstände, wie z.B. Gasmaske, Kopfkissen und Daunenbettwäsche mitgenommen wurde, oder wenn er falsch oder schlecht gepackt wurde.

 

In den kooperativen Abenteuerprojekten lernt der Jugendliche, daß es sich lohnt, Handlungen zu Ende zu bringen. In den erlebnispädagogischen Aktivitäten und den daraus entstehenden Grenzerlebnissen wird der Jugendliche zum Handeln aufgefordert, wobei frühere "Versteckspiele" und Selbsttäuschungen schwer aufrechtzuerhalten sind. So bringen gerade die abenteuerlichen Situationen den Zwang mit sich, Handlungen durchzuhalten und sie nicht einfach abzubrechen, wie es im Alltag von Jugendlichen oft geschieht. Mit dem gesamten Erlebnis merkt der Jugendliche, was er alles verpaßt hätte, wenn er sich nicht auf das Projekt eingelassen und es durchgezogen hätte. Die kooperativen Abenteuerprojekte geben Platz für eigenständiges Handeln und Raum für Experimente.

 

Die erlebnispädagogischen Projekte werden so eingesetzt, daß die kreativen, intellektuellen und körperlichen Ressourcen der Teilnehmer zum Tragen kommen. Neben verschiedenen geplanten Aufgaben, (wie z.B. einen fiktiven Piranhafluß überqueren, und intensiver Körpererlebnisse, wie z.B. das Schaukeln eines Kanus), geben wir den Jugendlichen genügend Freiraum, sich kreativ und spielerisch mit der neuen Umgebung auseinanderzusetzen. So erfahren die Jugendlichen nicht nur ihre eigene Kompetenz in der Bewältigung von Aufgaben, Schwierigkeiten und subjektiven Gefahren, sondern auch ihre persönliche Handlungsfähigkeit, was eigene Ideen entwickeln und durchführen betrifft. Durch die verschiedenen Aktivitäten können die Jugendlichen ihre verborgenen Fähigkeiten und Stärken entdecken und ausbauen. So bauten sich bei einem erlebnispädagogischen Projekt Jugendliche ohne Aufforderung, im Anschluß an den Navigationsmarsch, eigene Hütten aus Tannenzweigen und versuchten darin mehrere Stunden, trotz der regnerischen Nacht, zu verbringen. Alleine der Freiraum des Nachmittages und die neue Umgebung gab ihnen diese konstruktiven Impulse und Experimentierfreudigkeit. Die kooperativen Abenteuerprojekte ermutigen die Jugendlichen, einen höheren Grad an Eigenverantwortung und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Die Jugendlichen werden ermutigt, einen höheren Grad an Eigenverantwortung und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen, beispielsweise durch das Navigieren mit Karte und Kompaß. Hier übernimmt ein Jugendlicher über einen längeren Zeitraum hinweg die Führung der Gruppe, indem er die Marschrichtung festlegt. Die Ausrüstungsgegenstände werden selbstständig gepackt, auf Vollständigkeit, Zweckmäßigkeit und Funktionstüchtigkeit achten die Jugendlichen eigenverantwortlich. Die kooperativen Abenteuerprojekte kommen dem Erlebnishunger und der Abenteuerlust der Jugendlichen entgegen. Die einzelnen erlebnispädagogischen Projekte sind so geplant, daß sie den Jugendlichen viele neue ganzheitliche Erlebniselemente bieten. Nur mit Zeltwochenende könnten wir die Abenteuerlust und den Erlebnishunger der Jugendlichen nicht stillen. So versuchen wir, zusätzlich zu den geäußerten Wünschen der Jugendlichen, noch viele spannende und abenteuerliche Elemente zu integrieren: Neben dem Orientierungsmarsch mit Karte und Kompaß, dem Übernachten mitten im Wald, dem Überqueren eines fiktiven Piranhaflusses, haben die Jugendlichen noch die Möglichkeit, einen Schatz in der Bärenhöhle zu suchen. Mit den kooperativen Abenteuerprojekten möchten wir wesentliche Akzente im Erlebnisbereich setzen, die sich von üblichen Freizeitunternehmungen deutlich unterscheiden. Wir bieten den Jugendlichen die Möglichkeit, Abenteuer aktiv zu erleben, die sie richtig "mitnehmen", die ihnen lange im Gedächtnis bleiben und trotzdem nicht vor den Richter führen (wie S-Bahn surfen, Auto knacken etc.). Die Jugendlichen machen dabei Erlebnisse mit sich, mit ihren Mitmenschen und der Natur, die in Alltagssituationen nicht möglich sind. Im achten Jugendbericht der Bundesregierung steht diesbezüglich, daß manche Straftat von Jugendlichen und Heranwachsenden nur begründet ist aus der Anregungs-, Erlebnis- und Erfahrungsarmut unserer durchreglementierten Lebensräume. Räume, in denen man gefahrlos Abenteuer bestehen und Risiken ausreizen könnte, gibt es für junge Menschen kaum noch. Die kooperativen Abenteuerprojekte tragen dazu bei, sich selber zu erfahren Gerade der hohe Aufforderungs- und Abenteuercharakter der Erlebnisunternehmungen erleichtert es den Jugendlichen, sich aktiv zu beteiligen. Anderseits tragen viele Grenzerfahrungen dazu bei, daß die Jugendlichen sich mit ihrem Körper und ihrer Psyche, mit den Betreuern und den anderen Jugendlichen, neu erleben und definieren können. Für die Jugendlichen besteht die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, wie das "Nicht- aufgeben" trotz schwieriger äußerer Umstände. So war für Jugendliche das Übernachten mitten im Wald, bei Regen und einer Außentemperatur von weniger als 9 Grad, eine eindrucksvolle Erfahrung für Körper und Psyche. Die kooperativen Abenteuerprojekte tragen dazu bei, sich in der Gruppe zu erfahren und zu lernen, mit ihr auszukommen. Die Tourenplanung und die Selbstversorgung in der Gruppe fordern von den Jugendlichen Rücksichtsnahme, Teamgeist, gegenseitige Hilfe und Vertrauen. Der Jugendliche hat die Möglichkeit, intensive Gruppenerfahrung im Kontext mit der Natur zu machen. Das gemeinsame Überwinden von Durststrecken und das Lösen von Gruppenaufgaben schaffen einen intensiven und engen Kontakt. Die Teilnehmer .sind aufeinander angewiesen; das Ausgrenzen eines einzelnen funktioniert nicht mehr so einfach wie im Heimalltag. Das gemeinsame Lösen verschiedener Aufgaben und die zahlreichen New Games, wobei es hier nicht auf ein Gewinnen und Verlieren einzelner, sondern auf das gemeinsame Spielerlebnis ankommt, tragen dazu bei, Flexibilität in der Gruppenstruktur zu erreichen. Diese Flexibilität und die vielen neuen und unbekannten Situationen helfen der Gruppe alte Strukturen zu überdenken und eventuell neu zu definieren. Die Jugendlichen entdecken sich selbst und andere neu. Die Möglichkeit, anderen zu helfen und sich selbst helfen zu lassen, eröffnet der Gruppe, als Lebens- und Lernfeld, neue Chancen im Umgang miteinander. Der klassische Außenseiter der Gruppe zum Beispiel erhält viele Möglichkeiten, sich der Gruppe zu stellen und sich auf verschiedenen Gebieten zu bewähren. Die Gruppe erhält zur gleichen Zeit viele Möglichkeiten, durch den äußeren Rahmen der einzelnen Projekte den Außenseiter zu integrieren. Die erlebnispädagogischen Projekte bieten für die Jugendlichen große Chancen, die auf der Gesprächsebene nicht so gut erreichbar sind. Jugendliche, die auf dieser Ebene schwer zu erreichen sind, haben gerade in der Erlebnispädagogik die Möglichkeit, sich nicht durch mitreden zu profilieren, sondern können durch ihr konstruktives Handeln die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich lenken. Die kooperativen Abenteuerprojekte haben die Absicht, die Jugendlichen vom reinen Konsumverhalten abzuwenden. Wir möchten den Jugendlichen zeigen, daß man mit wenig Geld viel Spaß und Freude erleben kann. Die Abenteuer sollen das zukünftige Freizeitverhalten der Jugendlichen aktivieren, und sie vom reinen Konsumverhalten abwenden. Alle erlebnispädagogischen Aktivitäten, ausgenommen der Segeltörn, wurden so ausgewählt, daß sie sich zwar deutlich von der Alltagssituation abheben, aber trotzdem in der unmittelbaren Umgebung stattfinden. Der Jugendliche erhält somit die Möglichkeit, in späterer Zukunft für sich und seinen Freundeskreis einige Projekte an Ort und Stelle zu wiederholen. Um dies zu verstärken und als Andenken erhält jeder der Jugendlichen ein Projekttagebuch, in dem er das von uns ausgehändigte Karten- und Navigationsmaterial, Adressverzeichnis über Kajakverleihstellen, Survivaltips und vieles mehr einkleben und durch persönliche Notizen bereichern kann. Die kooperativen Abenteuerprojekte fördern die ganzheitliche Wahrnehmung der Natur und der Jahreszeiten. Im Vergleich zur Stadt bietet die Natur den Jugendlichen einen interessanten, wenn, auch für ihn zunächst reizarmen Rahmen und gibt ihm die Möglichkeit, sich stärker auf die eigene Person, auf die Gruppe und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die gängigen Ablenkungen wie Fernseh-, Video-, und Computerspiele fehlen, so daß die Auseinandersetzung mit der Natur, mit der Gruppe und mit sich selbst notwendig wird. Ein großer Vorteil der einzelnen erlebnispädagogischen Maßnahmen gegenüber einem längeren Einzelprojekt ist das ganzheitliche Wahrnehmen der Natur und der Jahreszeiten. Die Jugendlichen erleben und spüren die Kälte im Winter, den regnerischen Frühling intensiv am eigenen Leib. Die Begegnung mit den Lebenselementen Wasser, Feuer, Himmel und Erde ermöglichen ursprüngliche und primäre Erlebnisse. Die kooperativen Abenteuerprojekte geben dem Jugendlichen direkt Rückmeldung über sein Handeln. Viele Jugendliche suchen Situationen, in denen sie mit ihrem Handeln bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie legen Wert darauf, daß ihre Handlungen direkte Wirkungen zeigen. Als negatives Beispiel ist das Besprühen von Hauswänden, das Beschädigen fremden Eigentums anzuführen. In den erlebnispädagogischen Projekten erhält der Jugendliche eine direkte Rückmeldung über sein Handeln. Er bekommt dies nicht in Form eines Zeugnisses bestätigt, sondern erkennt selber den direkten Erfolg oder Nichterfolg seiner Handlung. Ein nicht sorgfältig aufgebauter Unterschlupf aus Tannenzweigen wird das Regenwasser nicht abhalten und vielleicht einstürzen. Der Jugendliche wird nachts bei einem Freund um Unterschlupf bitten müssen oder eine schlaflose Nacht verbringen. Die kooperativen Abenteuerprojekte versuchen, den Mangel an Sorgfalt der Jugendlichen in planvolleres Tun zu verwandeln. Auf die Funktionstüchtigkeit und Vollständigkeit der Ausrüstung zu achten gehört zu den wichtigen Voraussetzungen, um die erlebnispädagogischen Projekte ohne größere Komplikationen bestehen zu können. Ein unüberlegtes "Draufloshandeln" hat meist zur Folge, daß Entbehrungen oder das Ertragen der Konsequenzen in Kauf genommen werden müssen. So ließen in einem Projekt Jugendliche ihre Schuhe über Nacht im Freien liegen, die durch den einsetzenden Regen völlig durchnäßt wurden. Im zweiten Projekt schilderte mir einer der Jugendlichen, daß es das beste an dem zweiten Projekt wäre, daß er diesmal trockene Füße hätte. Die einzelnen Projekte sind so gestaltet, daß sie neben einer festen in sich geschlossenen Aktion den Teilnehmern noch eine Fülle von Aufgaben anbieten, die es zu bewältigen gilt. Hierbei handelt es sich um initiierte Interaktionsspiele und Problemlöseaufgaben, die gezielt für die Jugendlichen und Erzieher in einer bestimmten und geplanten Situation eingesetzt werden. So hatten die Teilnehmer des ersten Projektes neben dem Orientierungsmarsch mit Karte und Kompaß und anschließender Übernachtung mitten im Wald noch die Aufgabe, verschiedene Gruppenaufgaben zu meistern. Die Lösung der komplexen Aufgaben war notwendig, um an die Wegbeschreibung zur Bärenhöhle und zu den ersehnten Schatzplänen zu gelangen. Diese Aufgabe forderte speziell die Zusammenarbeit, die Diskussionsfähigkeit, den Abbau von Berührungsängsten und das Erlernen von Problemlösestrategien in der Gruppe.

 

 

 

3. ZUSAMMENFASSUNG

 

Die kooperativen Abenteuerprojekte bieten den Jugendlichen, in einer Art pädagogischem Arrangement, große Chancen in der Entwicklung und Stärkung ihres Selbstwertgefühles. Sie erhalten die Möglichkeit, fehlende Grunderfahrungen mit sich und ihrer Peer-group nachzuholen, zu intensivieren oder sich neu bewußt zu machen. Der Jugendliche erlebt seine Betreuer als gleichwertige Partner. Die Qualität der Beziehung zwischen den Pädagogen und den Jugendlichen kann durch diese Form des intensiven Kontaktes, durch das gemeinsame Lösen verschiedener und unbekannter Aufgaben, das Zusammenwachsen zu einer Spielgemeinschaft, durch das gemeinsame Bewähren subjektiver Gefahren und das gemeinsame Erlebnis dazugewinnen. Dadurch, daß die Jugendlichen und die Betreuer gemeinsam unbekannte und komplexe Aufgaben lösen, sich alle gleichsam in Grenzsituationen bewegen, besteht für die Jugendlichen die Möglichkeit, am Vorbild des Erwachsenen zu lernen und sich mit ihm zu identifizieren. Wichtigste Voraussetzung hierfür ist, daß sich beide Parteien in der gleichen Ausgangsposition befinden. Das bedeutet, daß es keinen Sinn macht, sich pädagogische Theorien zurechtzulegen, wenn die praktische Ausrüstung der Jugendlichen im Vergleich zu meiner, oder die der Betreuer, unzureichend ist, oder die Pädagogen nicht mit dem gleichen Tagessatz an Essensgeld wirtschaften wie die Jugendlichen. Die erlebnispädagogischen Projekte ersetzen keine anderen heil- und sozialpädagogischen Hilfsangebote und keine Therapie, sondern sie entfalten ihre Möglichkeit erst in der Vernetzung aller Hilfsangebote, eben in der Integration in den therapeutischen Alltag des Jugendlichen. Sie bedeuten eine weitere Differenzierung der Hilfeangebote für Kinder und Jugendliche, die unter erschwerten Bedingungen aufwachsen. Mit dem erlebnispädagogischen Angebot steigen meines Erachtens die Chancen der Kinder und Jugendlichen, ihr Leben eigenverantwortlicher, selbstständiger und zufriedener in die Hand zu nehmen und Lust am Leben zu gewinnen.

 

 

 

LITERATUR

 

Alberter, P. (1994): Die Wirksamkeit erlebnispädagogischer Maßnahmen auf Jugendliche, die unter erschwerten Bedingungen leben. Unveröffentlichte Facharbeit an der Fachakademie für Heilpädagogik, Regensburg.

Heckmair, B. Michl, W. (1993): Erleben und Lernen. Einstieg in die Erlebnispädagogik. Neuwied, Kriftel, Berlin.

Krug, W. (1995): Der Weg und das Ziel. Neue Wege in der Heimerziehung. In: Die Wiederentdeckung der Wirklichkeit. Verlag Dr. Jürgen Sandmann - Praktische Erlebnispädagogik.

Mohr-Modes, B. (1993): Sensorische Integration. Unveröffentliches Skript, Fachakademie für Heilpädagogik, Regensburg.

 

 

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