seit 1994

Themenzentrierte Form des Lernens - Workshopwoche an der Fachschule Straubing

Misericordia 6/1999

 

Hans Greipl

 

Themenzentrierte Form des Lernens - Workshopwoche an der Fachschule Straubing

126 Teilnehmer/innen, Fachschuler/innen der Heilerziehungspflege und Mitarbeiter/innen aus Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen aus ganz Niederbayern, trafen sich vor kurzem an der Fachschule für Heilerziehungspflege der Barmherzigen Brüder Straubing, um sich in einem von zehn Workshops fachlich weiterzubilden. Schon seit Jahren organisieren die hauptberuflichen Mitarbeter/innen der Fachschule in eienr Woche im Frühjahr eine bunte Palette von Bildungsangeboten. Anders als beim üblichen Unterricht in Klassen und Kursen können sich die Fachschüler/innen frei für einen oder mehrere Workshops einschreiben. Tradition ist es mittlerweile, dazu auch Mitarbeier/innen der Barmherzigen Brüder und anderer Einrichtungen der Behindertenhilfe aus Niederbauern einzuladen, mit denen die Fachschule kooperiert.

 

Im folgenden werden einige der angebotenen Workshops kurz vorgestellt:

 

„Menschen mit schwerster Behinderung sind auf grundlegende Erfahrungen angewiesen. Reden reicht da nicht, da braucht es mehr“, war die Erfahrung der Dozentin Barbara Eisvogel, die sie inspierierte, einen Workshop über „Basale Stimmulation – Basale Kommunikation – Massage nach Leboyer“ zu organisieren. Mitarbeiter in Wohngruppen mit mehrfachbehinderten Menschen brauchen spezielle Qualifikationen für den Umgang mit diesen Personen.


Erich Hocherl, Leiter der Förderstätte der Barmherzigen Brüder Reichenbach, führte in die Konzepte von A. Fröhlich, W. Mall und F. Leboyer ein. In der Förderung von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung sind insbesondere körperorientierte pädagogische Ansätze mit ganzheitlicher Sichtweise angebracht. Michael Händel, selbst Rollstuhlfahrer, zeigt mit Günter Schmidbauer, Dozent an der Fachschule, daß man auch mit Rollstuhl sein Leben meistern kann und beweglich ist. Praktische Übungen und ein „Live-Experiment“ der Teilnehmer/innen, die im Rollstuhl in Straubing einkaufen mußten, gehörten zum Programm. Eine Teilnehmerin machte die Erfahrung: „Ich bin zwar mit dem Rollstuhl in die Toilette des Kaufhauses gekommen, aber dann steckte ich fest. Ich bin abgestiegen und habe den Rollstuhl selbst geschoben. Bei mir geht das, aber was macht jemand, der querschnittsgelähmt ist?“


Die beiden Montessori-Pädagoginnen Sabine Scherer-Bogner und Ingried Fülller stellten den integrativen pädagogischen Ansatz vor, der schon vor gut 100 Jahren von der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori in Italien entwickelt wurde und heute aktueller denn je ist. Schon damals unterrischtete sie behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam und entwickelte spezielle Formen des Lernens und Lehrens („Freiarbeit“), ebenso Unterrichtsmaterialien, die alle Sinne ansprechen.

 

Abenteuer Pädagogik
Peter Alberter vom K.A.P. Institut (KAP = Kooperative Abenteuer-Pädagogik) ließ im Workshop „Erlebnispädagogik mit Menschen mit Behinderung“ die gesamte Bandbreite dieses pädagogoischen Ansatzes erfahren: Rollfietstour*, Höhlenerlebnis, Kooperative Abenteuerspiele und New Games. Eine Dozentin der Fachschule zeichnete hier verantwortlich für die Organisation.

 

Beim Workshop „Frühlingserwachen – Urlaub, Freizeit, Entspannen“ begleitete die Biologin Marlene Gmelch die Teilnehmer/innen über die Jurahöhen und entlang der freifließenden Laaber, über Biberpfade durch den lichten Buchenwald mit Eichelhäher- oder Schwarzspechtrufen. Fachschuldozent Karl Werner erläutert: „Ziel war es, durch eigenes Handeln neue Lernerfahrungen über Urlaub- und Freizeitgestaltung in der Natur zu ermöglichen.“


Im Tagesseminar „Für sich und andere sorgen – Wege aus der Überlastung“ zeigte die Sozialpädagogin Sabine Biberger Möglichkeiten auf, „wie professionelle Helfer/innen ihren Arbeitsalltag so gestalten können, daß sie ihre Arbeitskraft erhalten und selbst zu persönlichem Wachstum finden.“

 

„Leben bis zuletzt“

Anna Rieg-Pelz von der Fachschule und Gerhard Kaiser, Pastoralreferent in der Einrichtung der Barmherzigen Brüder Straubing, befaßten sich im Workshop „Leben bis zuletzt“ mit Fragen einer menschenwürdigen Sterbebegleitung. Eine Exkursion in das Johannes-Hospiz der Barmherzigen Brüder in München vertiefte die Auseinandersetzung mit dem Thema.


Diese themenzentrierte Form des Lernens und Lehrens, die zuerst von den Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmer/innen ausgeht, ist eine sehr effektive und erwachsenengemäße Art des Unterrichts. Darüber hinaus macht sie auch noch Teilnehmer/innen und Referenten/innen sehr viel Spaß. Das entschädigt allemal für den Mehraufwand, den Dozenten und Dozentinnen bei der Vorbereitung und Begleitung der Kurse haben.

 

Hans Greipl
Leiter der Fachschule für Heilerziehungspflege in Straubing