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Naturerlebnis als entscheidender Kick

Donaupost 29.01.1997


Naturerlebnis als entscheidender Kick

200 Teilnehmer bei Fachtagung über Erlebnispädagogik – Weg von der „Glotze“

 

Regensburg (kw) „Die Schwierigsten der Schwierigen werden komplett der Erlebnispädagogik aufgebürdet“, umriß Prof. Dr. Jörg Ziegenspeck von der Uni Lüneburg die Situation dieses reformpädagogischen Zweiges. Nach Ansicht des Fachmanns sollte Erlebnispädagogik allerdings nicht erst am Ende der therapeutischen Karriere eines Jugendlichen einsetzen, sondern schon im Kindergarten und in der Schule die Kids aus der Lethargie heraus und von der Glotze wegführen.

 

Über 200 interessierte Sozialpädagogen, Psychologen, Therapeuten und Vertreter von Jugendämtern und Jugendeinrichtungen setzten sich auf einer Fachtagung in der Regierung der Oberpfalz mit Praxisberichten und Rahmenbedingungen der Erlebnispädagogik auseinander. Im Mittelpunkt stand dabei das Beispiel einer intensiven pädagogischen Einzelbetreuung – die 180 Tage dauernde Mountainbike-Tour von Marokko nach Regensburg – des Erlebnispädagogen Peter Alberter mit einem stark verhaltensauffälligen 15jährigen.

 

Intensive Problemfall-Analyse
„Es ist einmalig in der Bundesrepublik, dass sich so viele Teilnehmer so intensiv mit einem Einzelfall und seiner Vor- und Nachbereitung beschäftigen“, bewertete Professor Ziegenspeck, selbst Institutsleiter für Erlebnispädagogik, die Veranstaltung. In der wurde die minutiöse Planung der Tour ebenso vorgestellt wie die pädagogische Begleitung, die juristische Vorbereitung mit Absicherung nach allen Seiten, die Frage der Kostenträger und die Supervision.


Fazit der aufwendigen Maßnahme: Selbstkontrolle, Verantwortlichkeit, das Treffen eigenständiger Entscheidungen und die Kommunikationsfähigkeit haben sich bei dem Jugendlichen erheblich verbessert. Er lebt jetzt in einer Außenwohngruppe des Kinderzentrums St. Vincent.

 

Einige „Fälle“ gingen schief
In seiner Beurteilung erlebnispädagogischer Maßnahmen ging der Lüneburger Experte auch auf die rund 50 Fälle ein, die für negative Schlagzeilen gesorgt und  die Erlebnispädagogik „in eine Schieflage gebracht“ hätten. Angesichts von rund 5000 in Auslandsmaßnahmen untergebrachten Jugendlichen, die vorwiegend in Standortprojekten an einem festen Ort untergebracht sind, sei dies ein geringer Prozentsatz.
Der Erlebnispädagoge räumte aber ein, dass es eine Reihe von Anbietern gebe, die in diesem Bereich schnelles Geld verdienen wollten. Zum anderen würden manche Projekte auch nicht genügend vorbereitet und von Pädagogen durchgeführt, die es sich recht leicht machen würden.


Dieser Artikel erschien unter dem Titel „Wenige schwarze Schafe“ in gekürzter Fassung auch im „Neuer Tag“,29.01.1997