seit 1994

Preis erleben & lernen 2004 - Projektbericht

„Den eigenen Weg finden“

mit Hilfe einer intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung

 

oder

 

Persönlichkeitsbildung mit dem Fahrrad nach Rumänien, als Weg zurück in Alltag und Schule

 

(Andreas Langer)

 

Einführende Gedanken

„Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche werden von ihrer Umwelt hauptsächlich als Störung, von der Politik als Kostenfaktor, vom Arbeitsmarkt als unbrauchbare Restgruppe wahrgenommen. Trotzdem steckt in diesen Kindern und Jugendlichen ein hohes Entwicklungspotential, wenn sie entsprechende Chancen und Förderung erhalten.“ (Michael Eibl in Aktion Kontakt 02/2002 der Kath. Jugendfürsorge Regensburg)

 

Immer wieder wird die Erziehungshilfe in ihrem pädagogischen Alltag mit Jugendlichen konfrontiert, die aufgrund ihrer Auffälligkeiten und Störungen durch alle Formen der Betreuung und gesellschaftlichen Systeme fallen. Nicht selten enden Krisen, für deren Bewältigungen die Einrichtungen keine Perspektiven sehen, in der Entlassung des Jugendlichen aus der Einrichtung. So sehr man sich auch fachlich einig ist über die negativen Auswerkungen von Maßnahme- und damit Beziehungsabbrüchen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen - so sehr fehlt es doch vielerorts an wirksamen und nicht ausgrenzenden Handlungsalternativen.

 

Inwieweit die intensiv-pädagogische Einzelbetreuung auf dieses Dilemma eine mögliche Antwort geben kann, soll am Beispiel der Arbeit des Weiterbildungsinstitutes und Jugendhilfeträger KAP dargestellt werden. 

 

oder konkret:

 

Was macht man mit einem Jungen, der von keiner Schule mehr genommen wird? Was soll mit einem Jugendlichen passieren, der sich aufgrund seiner massiven Verhaltensauffälligkeiten von der Gesellschaft ausgrenzt? Der wegen seiner Störungen dauerhaft vom Schulbesuch ausgeschlossen wird und dessen Erziehungsberechtigten in ihrer Erziehungsaufgabe nicht mehr weiter wissen. Wohin mit diesen Jugendlichen, die niemand haben möchte, deren Zukunft perspektivlos erscheint?

 

Mit diesem Jugendlichen, führte das KAP-Institut eine intensiv-pädagogische Einzelbetreuung nach Rumänien durch. In 69 Tagen radelte der Jugendliche mit seinem Betreuer bei Kälte, Wind und Wetter über 2000 km nach Rumänien.  Ziel für den Jugendlichen war: „Sich den Weg in die Schule wieder zu erarbeiten.“ Schnell war uns klar, hier braucht es Menschen, die – trotz aller Schwierigkeiten - an die Stärken und Ressourcen jedes Menschen glauben, und es bedarf neuer pädagogischer Konzepte, um bisher versteckt gebliebene Potentiale des Jugendlichen zu erspüren und zu fördern.

 

Und hier setzt KAP an: Die intensiv-pädagogische Einzelbetreuung erlaubt den Jugendlichen Fähigkeiten einzusetzen, die im Alltag des Zusammenlebens und der Schule nicht gefragt sind. Es fördert die Entwicklung alternativer, reiferer Verhaltensweisen heraus und hilft dem Jugendlichen positive Persönlichkeitseigenschaften zu entwickeln. Mit der Bewältigung von anfangs unlösbar erscheinenden Herausforderungen, die in irgendeiner Art und Weise bewältigt werden müssen, lassen sich aus der Notwendigkeit der Situation heraus Ausdauer und Durchhaltevermögen schulen. Schnell erfährt der Jugendliche, dass sich Schwierigkeiten nicht mit Aggression sondern nur durch aktives Handeln lösen lassen. Denn unseres Erachtens bilden sich Werte und Normen nur durch Herausforderungen. Persönliche Grenzen erleben, bringt dann im Jugendlichen wertvolle Prozesse der Persönlichkeitsbildung in Gang. 

 


A.) Projektbeschreibung

 

1. Der Jugendliche

 1.1 Kurzanamnese des Jugendlichen

 

Lars ist das erste Kind seiner Eltern, die getrennt leben. Zu Projektbeginn ist er elf Jahre alt. Die Mutter ist voll berufstätig, der Vater, zu dem nur sporadischer Kontakt besteht ist alkohol- und drogenabhängig, bagatellisiert dies aber. Lars fürchtet die Gewalttätigkeiten seines Vaters.

 

Seit dem Kindergarten sind Verhaltensauffälligkeiten von Lars bekannt. Er kann sich nur schwer an Regeln halten, so dass es oft endlos lange Diskussionen gibt. Wenn ihm etwas Gewünschtes nicht erlaubt wird, kann Lars andere massiv unter Druck setzen. Gegenüber Gleichaltrigen droht er mit Gewalt und führt diese auch durch, gegenüber Erwachsenen droht er mit Selbstmord. Nachdem er sich im Kinderhort zweimal auf die Fensterbank des ersten Stockes stellte und damit drohte, aus dem Fenster zu springen, wurde er vom Kinderhort ausgeschlossen. Es folgte eine Aufnahme in eine Heilpädagogische Tagesstätte.

 

Lars löst sich anbahnende Konflikte nicht, sondern weicht ihnen aus. In Situationen, in denen er sich für andere nicht nachvollziehbar bedroht fühlt, schlägt er reflexartig zu. Lars hat erhebliche Probleme Regeln anzuerkennen und einzuhalten. Insbesondere bei Frustrationen reagiert er häufig über, verlässt unerlaubt das Schulgelände, droht mit Selbstmord, bekommt aggressive Wutausbrüche und verletzt auch andere dabei. Sachen, die ihm gut gelingen, meistert er ohne Anstrengung, vermeidet aber Aufgaben, in denen er sich unsicher fühlt von vorne herein. Lars zeigt große Ansprüche an sich selbst, die teilweise stark überzogen sind.

 

Nach zwischenzeitlichen Fortschritten im Verhalten und im Abbau von Aggressionen fällt Lars wieder verstärkt in alte Verhaltensweisen zurück. Aufgrund dessen ist er in der Schule nicht mehr tragbar. Er kann dem Unterrichtsgeschehen nicht mehr folgen, stört permanent, hält sich an keine Anweisungen mehr und reagiert mit tätlichen Aggressionen auch gegenüber Lehrern. Die Grundschule lehnt eine weitere Beschulung von Lars ab, da eine Einflussnahme nicht mehr möglich ist. In Absprache mit der Schule erfolgt schließlich kein Schulbesuch mehr. Auch in der Heilpädagogischen Tagesstätte ist er nicht mehr zu führen.

 


1.2  Ausgangssituation zu Beginn der Maßnahme

 

Da auch die Mutter mit der Erziehung von Lars überfordert ist, wird er zur stationären Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen und muss dort nach Eskalation zeitweilig geschlossen untergebracht werden. Im Verlauf des ca. drei monatigen Aufenthaltes in der Psychiatrie erfolgt ein Diagnostikverfahren sowie eine medikamentöse Einstellung. Nach ca. drei Monaten  empfiehlt die Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Aufnahme beim KAP-Institut. Da das zuständige Jugendamt bereits sehr gute Erfahrungen mit der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung des KAP-Institutes machte, könnte rasch eine Aufnahme bei KAP gemacht werden.  Vorerst stand ein weiteres einmonatiges obligatorisches Clearing bei KAP auf dem Programm.

 

Lars zeigt auch während des Clearings die erwähnten Auffälligkeiten. Nachdem er in einem Supermarkt einen Diebstahl begangen hat und dabei von seinem Betreuer ertappt wird, soll er im Supermarkt die Sache in Ordnung bringen. Bei dieser Situation wurde Lars anfangs verbal aggressiv und beschimpft seinen Betreuer und eine Begleitperson. Vor dem Supermarkt steigert sich seine Aggressivität derart, dass er mehrere Werbeträger des Supermarktes demoliert, das Auto des Betreuers beschädigt, den Spiegel abriss und Personen anspuckte. Um Lars vor sich selbst und andere Personen vor ihm zu schützen, muss er mit zwei Personen festgehalten werden. Erst mit dem Eintreffen der Polizei und dem anschließenden pädagogischen Gespräch kann sich Lars wieder beruhigen.

 


1.3 Problembereiche des Jugendlichen

 

Aus der Beschreibung der Biographie und der Ausgangssituation zu Beginn der Maßnahme ergeben sich für Lars folgende Problembereiche:

•  Schwierigkeiten, Regeln und Grenzen einzuhalten
•  Unrealistische Selbsteinschätzung
•  Geringe Frustrationstoleranz
•  Aggressive Verhaltensweisen, Wutausbrüche
•  Inadäquater Umgang mit Konflikten und frustrierenden Situationen
•  Depressive Versstimmung mit Suiziddrohungen
•  Erhöhte Risikobereitschaft
•  Uneinsichtiges Verhalten
•  Wenig Normen- und Wertebewusstsein
•  Im Klassenverband nicht beschulbar


Die Kinder- und Jugendpsychiatrie diagnostizierte darüber hinaus

•  Eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen mit depressiver Störung
•  Lese-/Rechtschreibestörung
•  Überdurchschnittliche Intelligenz
•  Abnorme intrafamiliäre Beziehungen wie Mangel an Wärme in der Eltern-Kind-Beziehung, Inadäquate intrafamiliäre Kommunikation, unzureichende elterliche Aufsicht und Steuerung, abweichende Elternsituation
•  Ernsthafte Beeinträchtigung in den meisten Bereichen
•  Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 35a KJHG

 


1.4 Ziele für den Jugendlichen

 

Aus den vorangegangenen Beschreibungen ergeben sich für die intensiv-pädagogische Einzelbetreuung von Lars folgende Ziele:

•  Aufbau einer Vertrauensbeziehung zu einem männlichen Betreuer
•  Sich Bewähren und erproben eigener Fähigkeiten in fremden Umgebungen und sozialen Kontexten
•  Entwickeln und Fördern von Selbstsicherheit
•  Kennen lernen eigener Stärken und Schwächen
•  Umgang mit eigenen Grenzen lernen
•  Förderung einer realistischen Selbsteinschätzung
•  Heranführen an das Akzeptieren, Einhalten gesetzter Strukturen und Regeln
•  Eigenständiges entwickeln von Strukturen und Regeln
•  Umgang mit Frustrationen lernen
•  Förderung der emotionalen Selbststeuerung
•  Üben der Konfliktlösung im Gespräch
•  Abbau des aggressiven Verhaltens
•  Kritik annehmen und geben können
•  Entwickeln realistischer Zukunftsperspektiven


Von Seiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde als anzustrebendes Fernziel, die Unterbringung Lars in einer Wohngruppe, genannt. Durch die intensive pädagogische Einzelbetreuung sollte Lars soweit Fortschritte erzielen, dass eine Einrichtung gefunden werden kann, die bereit ist, ihn aufzunehmen. Eine Rückkehr in den mütterlichen Haushalt hält keine der bei den Gesprächen beteiligten Parteien für verwirklichbar.

 


2. Projektkonzeption

 

Das KAP-Institut bietet im Rahmen Hilfe zur Erziehung seit 1995 intensiv-sozialpädagogische Einzelbetreuung für benachteiligte Kinder und Jugendliche an. Gesetzliche Grundlage hierfür ist der § 35 SGB VIII:

 

„Intensiv-sozialpädagogische Einzelbetreuung soll Jugendlichen gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt und soll den individuellen Bedürfnissen des Jugendlichen Rechnung tragen.“

 

Zusätzlich zum pädagogischen und therapeutischen Angebot in Deutschland bietet das KAP-Institut für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche intensiv-pädagogische Hilfen in Osteuropa / Rumänien an.

 

Die intensive und individuelle Hilfe zur Erziehung in Ausland richtet sich vor allem an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die vorerst in Deutschland wenig Perspektiven haben. Dies sind häufig Kinder und Jugendliche, die ständig entweichen, nicht mehr in die Schule gehen oder als unbeschulbar entlassen werden. Hinzu kommen dissoziale Auffälligkeiten wie hohe Aggressivität und Delinquenz. Die Situation der Kinder und Jugendlichen ist in erster Linie gekennzeichnet durch mangelndes Selbstvertrauen, Misserfolgserlebnisse und durchgängige Perspektivlosigkeit. Ohne jegliche Perspektive und ohne intensive und individuelle Betreuung sind diese Kinder und Jugendlichen zunehmender Selbst- und Fremdgefährdungen ausgesetzt. Ein Weg zurück in die Gesellschaft wird mit multifaktoreller Problemhäufung immer schwieriger, ja fast unmöglich.

 

Erst durch engagierte, intensive heilpädagogische Beziehungsarbeit und den räumlichen Abstand zum Herkunftsmilieu gelingt es, die Lebensgeschichte zu bearbeiten und positive Entwicklungsschritte in Gang zu setzen. Der Tagesablauf wird strukturiert - der Jugendliche bekommt Sicherheit und langsam durch den äußeren Rahmen auch einen inneren Halt. Wir nützen dabei die Natur mit ihren natürlichen Tag– Nacht Rhythmus. Durch das Fahrradfahren und die körperliche Anstrengung wird der Kopf wieder frei für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Der Jugendliche kommt erstmalig zur Ruhe. Die Persönlichkeit des Jugendlichen wird stabilisiert und so entwickelt sich neue Motivation für eine schulische und berufliche Perspektive.

 


Lernmöglichkeiten durch die Fahrt und den Aufenthalt in Rumänien

 

Ausdauer und Durchhaltevermögen trainieren

Das Reiseprojekt mit dem Mountainbike eröffnet Lars wichtige Lernmöglichkeiten für die Zukunft.  Durch die tägliche Reisezeit lassen sich Ausdauer und Durchhaltevermögen trainieren. Wenn Lars es schafft, täglich sechs Stunden und mehr auf dem Radsattel zu sitzen, wird er es auch schaffen, diese Zeit in der Schule sitzen zu können. Die Jugendlichen sind nach etwa zwei Monaten anstrengendes und tägliches Fahrradfahren froh wieder in die Schule gehen zu dürfen. Ausdauer und Durchhaltevermögen wird nicht nur gepredigt, sondern vor allem auch intensiv gelebt und Stück für Stück wieder gesteigert. Mathe beginnt mit brennenden Fragen, wie Durchschnittsgeschwindigkeit errechnen, Tageskilometer zusammenrechnen, … wieder interessant. Deutsch durch die Tagesdokumentation, Biologie durch das Leben in der Natur spannend.


Kontakt zu gleichaltrigen Jugendlichen

Durch den täglichen intensiven Kontakt zu ihren Intensivbetreuer wünscht der  Jugendlichen von sich aus wieder Kontakt zu gleichaltrigen. Dieser Kontakt wird vorerst nur über einen gezielten Schulbesuch erlaubt. Es entstehen über die Schule – und nicht auf der Strasse – neue Freundschaften. Eine Chance und Motivation, die sich die Jugendlichen nicht wieder verscherzen wollen. Damit wird der Kontakt zu Gleichaltrigen eine weitere Motivation für einen neuen Schulbesuch Gerade diese Kontakte sind ein wichtiges Lern- und Erprobungsfeld für das Sozialverhalten von Lars.
In der Schule lernt er durch gezielte Kontaktaufbauten, wie er nach der Einzelfallbetreuung mit seinem sozialen Umfeld umgehen kann und welcher Kontakt für seine Entwicklung förderlich sind und welcher weniger. Gezielte Tagesreflexionen, der Aufbau und das Lernen alternativer Handlungs- und Lösungsstrategien spielen dabei eine große Rolle.
Schule bekommt einen anderen Stellenwert. Die Erfahrungen mit Reiseprojekten zeigen auch, dass die Jugendlichen durch die lange Reise wieder neue Motivation für die Schule finden und sich einen Schulbesuch wünschen, da dieser weniger schwierig empfunden wird als die Reise und sie den Schulbesuch wieder schätzen lernen. Im Gegensatz zu früher wird Schule positiv wahrgenommen, als Chance, die z. B. auch Lars durch auffälliges und aggressives Verhalten nicht wieder verscherzen wollte. Die Strategie und gleichzeitig gemachte Erfahrung von KAP ist: „Der Jugendliche erarbeitet sich mit Ausdauer und Durchhaltevermögen den Weg in die Schule. 2.000 km mit dem Fahrrad über Berg und Tal helfen, die Schule und dass Leben zuhause wieder mit anderen Augen zu sehen. Der Jugendliche muss nicht mit der Polizei ins Klassenzimmer „geschleift werden“, sondern ist regelrecht froh wieder in die Schule gehen zu können. Diese Chance möchte er sich nicht entgehen lassen und erfahrungsgemäß nicht wieder aufs Spiel setzten. Leistung muss sich wieder lohnen.

 


Weitere Lern– und Erfahrungsräume für Lars

 

Da Auslandsaufenthalte im Rahmen der Hilfe zur Erziehung für den jungen Menschen ein Leben und Arbeiten unter besonders erschwerten Bedingungen bedeutet, bieten sich ihm dadurch auch besondere Lern- und Erfahrungsräume:


Einfache, konsumarme Lebenswelt

Durch den Aufenthalt in Rumänien lebt und arbeitet Lars mit seinem Betreuer unter sehr einfachen Lebensbedingungen. So gewinnt er Abstand von der bisher konsumgeprägten Lebensweise in Deutschland, welche in ihrer Komplexität und durch Verführungssituationen Verhaltensauffälligkeiten selbst produziert. Lars wird nicht mehr unterhalten und versorgt, sondern muss eigenständig an seiner Versorgung mitarbeiten. So erfährt er elementare, unmittelbar nötige und deshalb sinnstiftende Zusammenhänge von Arbeiten und Leben. Da Ablenkungen fehlen, ist Lars gefordert, sich auf seine Person zu konzentrieren. Erst die Beschäftigung mit sich selbst ermöglicht die Bewältigung der eigenen Lebensgeschichte mit den daraus resultierenden Problemlagen und legt so den Grundstein für erste Verhaltensänderungen. Gleichzeitig bittet die ruhige, einfache Umgebung optimale Voraussetzungen für Nachhilfeunterricht zur Schulvorbereitung.


Rumänische Lebensweise

Das Zusammenleben der rumänischen Bevölkerung ist durch die Kooperation und Zusammenarbeit aller Bewohner geprägt. Mehr noch als bei uns ist die Bevölkerung von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung abhängig. Aufgrund der einfachen Lebensbedingungen und eingeschränkten materiellen Güter konnte sich die Bevölkerung bei uns inzwischen verloren gegangene Werte wie Gastfreundschaft, Mitmenschlichkeit und gegenseitige Hilfsbereitschaft erhalten. Dies ermöglicht Lars neue, den bisherigen Erfahrungen konträr gegenüberstehende zwischenmenschliche Erlebnisse des Aufgenommen und Angenommen zu erfahren. Durch die Übernahme von Aufgaben und Hilfstätigkeiten für die Dorfgemeinschaft gelingt nicht nur die Integration in diese, sondern Lars erhält dafür Anerkennung und Wertschätzung. Er erlebt sich in seinen Aufgaben, Tätigkeiten und Anstrengungen sinnvoll und erfährt Selbstwirksamkeit. Die positive Rückmeldung wirkt sich verbessernd auf das Selbstwertgefühl und das eigenen Selbstbild aus. Der enge Kontakt der Bevölkerung untereinander ermöglicht Lars, schnell mit anderen Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Die positive Art miteinander umzugehen, zeigt Lars neue Möglichkeiten des Sozialkontaktes. Er lernt den zuvorkommenden Umgang mit Mitmenschen und erhält die Chance, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen, ohne auf die für ihn bisher allerorts gegenwärtige Voreingenommenheit zu stoßen. Die positiven Gleichaltrigenkontakte werden Lars auch zum Schulbesuch motivieren und ihn bei Schwierigkeiten dabei zu unterstützen. Er lernt dort neu wie man sich im Umgang mit seinen Mitmenschen verhält und bekommt so eine neue Chance einen Freundeskreis aufzubauen.


Notwendigkeit, sich auf Unvorhersehbares einzulassen

Da der Aufenthalt in einem anderen Land mit neuen, nicht immer planbaren Erfahrungen verbunden ist, muss sich Lars auf unvorhersehbare Vorkommnisse einlassen. Das Leben in Rumänien stellt immer wieder neue Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, um den Aufenthalt angenehm zu gestalten. So werden neue emotionale und soziale Erfahrungen möglich. Der Auslandsaufenthalt in Rumänien erweitert die geografische Grenzüberschreitung zur individuellen. Ebenso vermittelt die Unüberschaubarkeit der Situation die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Strukturbildung. Regeln und Tagesstruktur werden als hilfreich, Sicherheit und Orientierung gebend wahrgenommen. Im Gegensatz zur Reise führt das nachfolgende Standprojekt mit Vorbereitung auf den Schulbesuch und Wiederbeschulung wieder in eine Struktur ein, welche für ein Bestehen im späteren Alltag in Deutschland notwendig ist. Nach der langen Radtour mit den ständigen nicht planbaren Herausforderungen wird diese Struktur von Lars als etwas Wertvolles empfunden werden, für die er sich aktiv einsetzen und bemühen wird.

 


Ziele des Aufenthaltes in Rumänien

 

Allgemein erfolgt durch das gemeinsame Wohnen in der ländlichen Umgebung Rumäniens eine Herauslösung von Lars aus seinem bisherigen Milieu, zu dem er Abstand gewinnen kann. Ziel ist es, die bisherige Lebensweise zu reflektieren, damit abzuschließen und durch die Orientierung an den Tagesablauf des Dorflebens das eigene Leben neu auszurichten. Das Leben in ländlicher Umgebung fördert das zur Ruhe kommen von Lars. Er ist den Verlockungen der konsumorientierten Gesellschaft mit ihren Ablenkungen wie Drogen, Videospiele nicht ausgesetzt und kann sich – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben - auf sich selbst besinnen. Mit Unterstützung lernt er sein Verhalten zu reflektieren, sich mit sich selber und seiner bisherigen Lebensgeschichte zu beschäftigen.

 

Grundlage der Betreuung ist die Beziehung zwischen Lars und seinem Betreuer. Durch das intensive Zusammenleben und das Aufeinander angewiesen sein, kann Lars Verlässlichkeit, Sicherheit und Orientierung im Umgang mit erwachsenen Bezugspersonen erfahren, welche als Grundlage den Vertrauensaufbau als Basis einer echter Beziehung ermöglicht. Ebenso wird der Aufbau sozialer Kompetenzen gefördert.

 

Verschiedene Alltagshandlungen, Aktivitäten und Erlebnisse des Lebens in Rumänien vermitteln Lars neue positive Erfahrungen, welche das Selbstwertgefühl unterstützen und neu entwickeln helfen, wodurch die Persönlichkeit deutlich stabilisiert wird. Darauf aufbauend lassen sich neue Perspektiven für das weitere Leben, insbesondere Schulabschluss, Berufsausbildung und weiterführende Wohnmöglichkeiten entwickeln. Der haltgebende Kontext zum Betreuer und der rhythmische Tagesablauf in Verbindung mit sinnvoller Arbeit, aufarbeiten von Schulischen Defiziten und individuellen Lernförderung geben Lars Sicherheit, Orientierung und Selbstvertrauen. Die tägliche Arbeit schärft seine Sinne und stärkt Ausdauer und Durchhaltevermögen, welche er im Unterricht bei sich als Fortschritt wahrnimmt und sich so selbst zu mehr Engagement motiviert.

 

Da diese Ziele nur unter Mitwirkung von Lars verwirklich werden können, muss dieser mit der Maßnahme einverstanden sein. Bei der Planung und Durchführung der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung in Rumänien werden die individuellen Bedürfnisse von Lars, seine Neigungen, Stärken und Schwächen berücksichtigt und in den Betreuungsverlauf eingebunden.


Ziele für Lars in der Persönlichkeitsentwicklung

•  Steigerung und Verfestigung des Selbstwertgefühls durch Erfolgserlebnisse
•  Erhöhung der Frustrationstoleranz
•  Impulskontrolle lernen oder erweitern
•  Förderung der Sensibilität für eigene und fremde Gefühle
•  Entwickeln von Körperbewusstsein, sich körperlich spüren und erleben lernen


Ziele für Lars im Sozialverhalten

•  Steigerung der Reflexionsbereitschaft
•  Lernen, sich alltäglichen Konflikten zu stellen
•  Erarbeitung adäquater Konfliktlösungen und Durchhalten der eingeschlagenen Lösungswege
•  Wut und Ärger adäquat äußern lernen
•  Umgang mit Grenzsetzung lernen
•  sich und andere schätzen lernen
•  Umgang mit Autoritäten lernen
•  Beziehung zur/zum Betreuerin/Betreuer aushalten und gestalten lernen
•  Erwerb grundlegender sozialer Kompetenzen wie Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft
•  Förderung der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit

 

Ziele für Lars im Lern- und Leistungsverhalten

•  Förderung von Ausdauer und Durchhaltevermögen
•  Entwicklung von Motivation
•  Lernen bei der Sache zu bleiben, eine Tätigkeit zu Ende zu führen
•  Aufbau von Allgemeinwissen
•  Erwerb der rumänischen Sprache
•  Erwerb einfacher grundlegender handwerklicher Fähigkeiten
•  Eingliederung in den Schulalltag schaffen
•  Schulbesuch ohne größere Auffälligkeiten schaffen


Ziele für Lars im Lebenspraktischen Bereich

•  Förderung der Eigenverantwortung
•  Förderung der Lebenspraktischen Fähigkeiten bezüglich der eigenen Haushaltsführung
•  Lernen mit Geld umzugehen

 

Wichtige Elemente der pädagogischen Arbeit während des gesamten Projektes sind:

•  Kontinuierliche, verlässliche Bezugsperson
•  Strukturierter, regelmäßiger Tagesablauf
•  Tägliche Reflexionseinheiten mit dem Erzieher
•  Tägliche selbständige schriftliche Tagesdokumentation
•  Verzicht auf Konsumgüter
•  Tägliche Arbeitseinheiten
•   Erlebnispädagogisches Reiseprojekt zur Erreichung des Standprojektes
•  Integration in die soziale Umwelt


Der Aufenthalt unter den einfachen Bedingungen Rumäniens fordert von Lars eine natürliche Auseinandersetzung mit den Grundbedürfnissen des Lebens. Das pädagogische Wirken des Betreuers ist handlungsorientiert und eng mit den Anforderungen des Lebens verbunden. Dies verlangt von Lars:

•  Gegenseitige Rücksichtsnahme
•  Disziplin, Ausdauer und Leistungsbereitschaft
•  Achtung von Schöpfung und Naturkreisläufen
•  Verantwortungsübernahme für nachvollziehbare und überschaubare Arbeitsbereiche
•  Handwerkliche Fertigkeiten wie Umgang mit Hammer, Säge oder ähnlichem Werkzeug
•  Klare Arbeitsaufteilung durch präzise Absprachen und deren Einhaltung
•  Bereitschaft zur Kommunikation mit dem Betreuer und anderen Beteiligten
•  Verantwortungsbewusstsein, Einsatzkraft und hohe Problemlösefähigkeit
•  Bei der Sache zu bleiben und nicht beim kleinsten Problem abzuhauen
•  Ziele zu setzen und umzusetzen
•  Konzentration auf das Wesentliche, da anfallende Arbeit effektiv und zügig erledigt werden müssen
•  Ehrlichkeit
•  Verzicht auf Konsum und passivem Hingeben medialer Abhängigkeiten.


KAP-ISE-Clearing Regeln

•  Kein Alkohol, keine Zigaretten
•  Keine Gewalt
•  Keine Davonlaufen
•  Unterscheiden lernen zwischen „Mein und Dein“
•   Mitarbeit bei den alltäglichen Verrichtungen, wie Kochen, Abspülen, Lager einrichten.
•  Vereinbarte Regeln sind einzuhalten
•  Tägliche Tagesdokumentation im Tagebuch und mit dem Erzieher


Weitere Verhaltensregeln und Maßgaben werden im Rahmen der Maßnahme gemeinsam besprochen und den Bedürfnissen der Situation angepasst.

 


Projektablauf nach der Fahrradtour nach Rumänien

 

Standprojekt in Rumänien

Während des mehrere Monate umfassenden Standprojekts in Rumänien lebt Lars mit seinem Betreuer in einer einfachen Unterkunft. Von dieser aus gestalten beide ihren Alltag, die täglichen Arbeitseinsätze und Übungen zur Schulvorbereitung. So erkämpft sich Lars die Chance vor Ort in die Schule gehen zu dürfen. Lars lernt wieder einen geregelten Tagesablauf und verinnerlicht den Umgang mit gleich bleibenden Strukturen. Durch die eigenständige Versorgung erwirbt er lebenspraktische Fähigkeiten und gewinnt Selbständigkeit.

 

Da sich Lars und sein Betreuer an den gesellschaftlichen Aktivitäten der Dorfgemeinschaft beteiligen, werden beide dort integriert und Lars erwirbt dadurch und durch den Umgang mit seinen Mitschülern in der Schule vor Ort notwendige soziale Kompetenzen.


Rückkehr nach Deutschland und Transfer der Lernerfahrungen

Da sich die in Rumänien gemachten Erfahrungen von den Anforderungen des Alltages in Deutschland unterscheiden, gilt es durch einen geplanten und gezielten Transfer die Übertragung der Lernerfahrungen in den Alltag zu gewährleisten. Als Ziel der gesamten pädagogischen Maßnahme gilt die Reintegration von Lars in seinen Herkunftsbereich, die erfolgreiche Beendigung der Schule  bzw. die Verselbständigung im natürlichen Lebensumfeld.

 

Dazu werden bereits während des Aufenthaltes in Rumänien mögliche adäquate Perspektiven wie Schulbesuch und weiterführende Unterbringungsmöglichkeiten erarbeitet und erste Kontakte hergestellt. Dadurch soll die Rückkehr und der Übergang in eine weitere Hilfe geplant und für Lars nachvollziehbar organisiert werden.

 

Zur Wiedereingliederung in den Alltag wird die Maßnahme mit einem Standprojekt in Deutschland nachbereitet und abgeschlossen. Die Dauer dieser Phase orientiert sich an Erfordernissen von Lars und den Möglichkeiten der Realisierbarkeit der Anschlussmaßnahme.

 


Zusammenfassung Projektkonzeption

 

Jugendhilfe hat die Aufgabe, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu fördern. Durch dieses Konzept der individuellen und intensiven Hilfe zur Erziehung in Rumänien, sollen auch die Kinder und Jugendlichen, die durch das bisherige Spektrum der Jugendhilfe nur noch schwer oder auch nicht mehr zu erreichen waren, eine individuelle Förderung erhalten.

 

Der intensive Kontakt mit der/dem Betreuerin/Betreuer ermöglicht den Aufbau einer beziehungsorientierten Förderung. Die mit der handlungsorientierten Pädagogik verbundene körperliche Betätigung und der Aufenthalt in der Natur mit ständig neuen Anforderungen fernab des passiven Konsums ermöglichen dem Jugendlichen neue physische und psychischen Herausforderungen. Diese Erfahrungen bieten dem Jugendlichen den Aufbau eines neuen Selbstwertgefühls und helfen ihm, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Durch die Entdeckung von neuen Zielen und das gemeinsame Aufbauen von Allgemeinwissen bzw. Abbauen der Schuldefizite kann der Jugendliche wieder in die Schule integriert werden und sich so neue Perspektiven und Chancen selbst erarbeiten.

 

Sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen bewirken sich verändernde soziale Probleme. Um auf diese entsprechend zu reagieren, ist die Hilfe zur Erziehung gefordert, neue Wege zu gehen und ihre Angebote entsprechend den Bedürfnissen anzupassen.

 

Das KAP-Institut weist über elf Jahre Erfahrung in der praktischen Arbeit der Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Therapie auf und zählt mittlerweile zu den Wegbereitern innovativer Ansätze in der Jugendhilfe und Erlebnispädagogik. Gerade im Bereich der intensiv-pädagogischen Eins-zu-Eins-Betreuungen konnte sich KAP-Erlebnistherapie mittlerweile einen Namen machen und wurde auch mit bundesdeutschen Auszeichnungen prämiert. Sie sind uns Zeichen und Qualitätsmerkmal, den eingeschlagenen Kurs zu halten und Ansporn, neue Projekte zu entwickeln.

 

 

2.1 Clearingphase

 

Um Lars selbst persönlich näher kennen zu lernen und um die optimale Hilfe zu finden, startete die Maßnahme mit einem obligatorischen vierwöchigen Clearing, an dessen Ende mit allen Beteiligten über einen möglichen weiteren Maßnahmeverlauf entschieden werden sollte.

 

Während des Clearings der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung finden kurzfristige erlebnistherapeutische Maßnahmen statt. Durch diese soll die Zusammenarbeit zwischen dem Jugendlichen und seinem Betreuer gestärkt werden. Beide müssen sich in einer fremden Umgebung zu Recht finden und sind direkt aufeinander angewiesen. Der Grundstein für den Aufbau einer neuen Beziehung mit gegenseitigem Vertrauen wird gelegt. Durch die Anwendung erlebnispädagogischer und natursportlicher Aktivitäten wird Lars mit ganz neuen Anforderungen konfrontiert. Unter Anleitung seines Betreuers macht er neue Lernerfahrungen, welche ihm neues Selbstvertrauen geben und somit den Grundstein für eine weitere Persönlichkeitsentwicklung legen. Lerninhalte werden abgewandelt als Anforderungen des Alltages. Lars Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Abenteuerlust wird befriedigt. Er muss nicht entweichen, um unterwegs zu sein, sondern ist zielgerichtet auf einer Reise, einer Reise zu sich selbst. Die Erfahrungen, Anforderungen des so erlebten Alltages gemeistert zu haben, vermittelt Lars neuen Lebensoptimismus innerhalb neuer Lebensbezüge.

 

Die Clearingphase startet mit dem Aussetzen mitten in der Natur. Lars hatte sich mit seinem Verhalten aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Dies wird metaphorisch für Lars nachgebildet. Mit dem Landrover wird Lars und sein Betreuer mitten im Wald, ausgestattet mit Isomatte, Schlafsack, Plane und Kocher ausgesetzt. Hier entdeckt Lars die Langsamkeit. Er merkt, dass eine genaue Planung der eigenen Schritte notwendig ist, um keinen Weg umsonst zu gehen und dem Ziel planmäßig näher kommen zu können. Hierfür ist das anfängliche Aussetzen in einem unbekannten Wald von großer Bedeutung. Das Gefühl des Ausgeliefertseins, das Bedürfen klarer Orientierung und das sich selbst eine Richtung geben müssen, sind die vorherrschenden Gefühle. Lars lernt sich täglich Ziele zu setzen und in jedem Wanderabschnitt Energie und Nahrung einzuteilen. In der kleinen Sozialgruppe muss Lars viele Aufgaben übernehmen und sich in alltäglichen, für die Reiseaufgabe aber notwendigen Dingen bewähren. Die Wanderung erfolgt entlang eines Flusses. Der Fluss dient als Metapher für das eigene Leben – vor allem dann, wenn das „Leben aus dem Fluss geraten ist“ – soll die Wanderung entlang des Flusses helfen, diesem Leben wieder einen Fluss, also eine neue Perspektive zu geben. Der Transfer dieser Metapher erfolgt durch die täglichen begleiteten Reflexionseinhaiten.

 

Das gewonnene Vertrauen in eine andere Person soll durch die Paddeltour unterstützt werden. Hier ist es unmöglich, dem anderen auszuweichen und, wie beim Wandern, sich mehrere Meter vom anderen zu entfernen. Ebenso ist ständige Kommunikation nötig, um die Richtung in der Mitte des Flusses bei zu behalten und sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Hinzu kommen weitere Herausforderungen. Bei plötzlichem Regen muss schnell und adäquat regiert werden. Solche Erfahrungen sollen die Einsicht in planmäßiges Handeln und das Vereinbaren von Regeln stärken. Da die Problemlagen auf dem Fluss plötzlicher in Erscheinung treten, soll diese Erfahrung Lars Mut zum Entwickeln des eigenen Verhaltens in Absprache mit einem Partner geben.

 

Nach dieser Paddeltour beginnt eine 5-Flüsse-Fahrradtour von Regensburg nach Nürnberg und auf neuer Strecke zurück, welche stetige körperliche Beanspruchung mit schwerem Gepäck bedeutet. Jeden Tag werden die Zelte abgebrochen und neue Tagesetappen festgelegt. Erste Routinearbeiten – Aufgaben, die nicht diskutiert, sondern durchgeführt werden müssen - stehen auf der Tagesordnung.


Es gibt hierbei einen immer gleichen Tagesablauf, der Lars Struktur vermitteln soll:

•  Aufstehen, Körperpflege
•  Gemeinsames Frühstücken mit Gespräch
•  Aufräumen
•  Verfassen einer Tagesdokumentation über den vergangenen Tag
•  Kurze gemeinsame Tagesreflexion
•  Planen des Tages mit Reiseroute und Verhalten und Besprechung der Tagesstruktur
•  Einpacken von Zelt, Schlafsack, Gepäck; Satteln der Räder
•  Erreichen des Tagesziels und Mahlzeiten mit Gesprächen
•  Erste kleine schulische Aufgaben
•  Finden eines geeigneten Schlafplatzes, Zeltaufbau
•  Tagesendgespräch und Gutenachtgeschichte


Lars wird hier mit einem Medium konfrontiert, das ihn körperlich stark herausfordert und ihn auch an seine Grenzen führt. Die Radtour zeigt ihm Erschöpfung und das es nicht immer möglich ist, die gesteckten Tagesziele zu erreichen. Er muss akzeptieren, dass seine körperliche Leistungsfähigkeit geringer ist als die des Betreuers. Ebenso soll er lernen, einzusehen, dass seine Leistungsfähigkeit unter dem liegt was er von sich selbst erwartet.

 


2.2 Projektwahl – Intensiv-pädagogische Einzelbetreuung mit dem Mountainbike

 

Durch die Intensiv-pädagogische Einzelbetreuung soll der junge Mensch schnell einen Abstand zum bisherigen Lebensumfeld gewinnen, um sich aus sicherer Distanz gründlich damit beschäftigen zu können, um anschließend neue Perspektiven zu entwickeln. Durch das gemeinsame Gestalten und Durchleben des Alltages mit den damit verbundenen Erlebnissen aber auch den aus der Reise in unbekannter Umgebung resultierenden Herausforderungen erfährt der Jugendliche, wie wichtig die Mithilfe des Einzelnen ist und wie stark beide Partner aufeinander angewiesen sind. Soziale Kompetenzen wie gegenseitige Unterstützung bleiben keine leeren und so schwer vermittelbare Worthülsen, sondern werden aktiv und direkt erfahren. Durch die Reise im Sinne von „der Weg ist das Ziel“ wird der junge Mensch kontinuierlich mit Anforderungen konfrontiert, welche er bewältigen muss, da ansonsten ein weiterkommen nicht möglich ist. Er erwirbt neue Erfahrungen wie „Ich habe etwas geleistet!“, „Ich kann was!“, „Ich bin etwas wert!“ und lernt sich selbst mit seine Stärken und Schwächen besser einzuschätzen. Durch das Überwinden von Grenzen und das Erleben von Selbstwirksam wird der Aufbau eines neuen, positiven Selbstbildes unterstützt. Motivation, Ausdauer, Willensstärke und Durchhaltevermögen als wichtige Grundlage für das spätere Leben werden erfahren und trainiert. Die persönliche Einsatz-, Leistungs- und Arbeitsbereitschaft des Jugendlichen wird durch direkten Sachbezug und nicht durch den Auftrag des Erwachsenen gefordert.

 

Die intensiv-pädagogische Einzelbetreuung besteht aus einer Radtour mit Mountainbike und Gepäck. Von Regensburg führt die Strecke über Tschechien entlang der Moldau zur Donau, dieser folgend durch Ungarn nach Budapest und weiter durch die Karpaten bis zum Standort in Rumänien.

 

Der enge Kontakt zum Betreuer während der Reise ermöglicht ein intensives Arbeiten, welches sich auch aufgrund der gemeinsam zu lösenden Problemen intensiviert. Im Gegensatz zur Therapie in Räumen ist nicht nur der Klient der Handelnde, sondern die heilpädagogische Beziehungsgestaltung steht im Vordergrund. Beide Beteiligte müssen handeln und dieselben Hürden überwinden. Schwierigkeiten sind nicht immer vorhersehbar, dennoch müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden, für deren Lösung keine Zeit zur Verfügung steht. Gemeinschaftliches Agieren, Konsequenzen aushalten und sich aufeinander verlassen können sind dabei tägliche Lernfelder. Persönliche Grenzen sind direkt erfahrbar, Angst wird erlebt, aussichtslose Situationen und durch die Einsamkeit in der Natur scheint ein Ausweg nicht möglich. Dies bietet ein vielfältiges Spektrum an Möglichkeiten, die es sonst in diesem Umfang und von dieser Dauer nicht außerhalb der Natur und einem Reiseprojekt gibt.


Während der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung ist es möglich, durch die Reduzierung des Tagesablaufes auf das notwendigste, dem Jugendlichen Erfahrungsfelder zu ermöglichen, die mit ihrer persönlichen Problematik offensichtlich erst einmal nichts gemein haben. Die Reduzierung auf „Wo bekomme ich Essen her?“, „Wo kann ich übernachten?“, „Wie weit fahre ich heute?“, „Wie komme ich wohlbehalten an?“ vermitteln direkte Erfahrungen.

 

Dem Jugendlichen ist es möglich, auch aufgrund mangelnder Ablenkungen, den Tagesablauf im Überblick zu behalten. Wegen der besonderen Ansprüche lernen sie ihre psychischen und physischen Grenzen kennen und einzuschätzen.

 

Reiseprojekte sind auch für junge Menschen mit Schwierigkeiten, tragfähige soziale Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, bedeutsam, da der Jugendliche während der Reise auf den direkten Kontakt mit dem Betreuer angewiesen ist. Der junge Mensch erlebt in seinem Betreuer Verlässlichkeit, Sicherheit und Orientierung, welche im hilft, schrittweise wieder Vertrauen zu sich und anderen Menschen zu finden.


Durchhaltevermögen und Belastbarkeit sind bei einer längeren Unternehmung besonders gut zu trainieren. Aufgrund der Anstrengungen einer solchen Unternehmung kann der Teilnehmer auf seine Leistungen stolz sein und eine Aufwertung seines Selbstwertgefühls erfahren. Die täglichen Erfolgserlebnisse, etwas auch unter Schwierigkeiten geschafft zu haben und nicht sofort aufgeben zu können, sollen Lars helfen sein negatives Selbstbild abzubauen und Selbstvertrauen zu gewinnen.

 

Lars verlässt sich gerne auf Erwachsene, indem er diese für sich entscheiden und sich in den Weg stellende Schwierigkeiten beseitigen lässt. Dieses Verhalten ist bei einem Reiseprojekt nicht möglich, da jeder für sein Mountainbike und Gepäck selbst verantwortlich ist. Um täglich weiter fahren zu können, muss sich Lars verantwortungsbewusst um die notwendigen Utensilien kümmern. Selbständigkeit und vorausschauendens Denken werden gefördert.


Die Reise wird für Lars viele unbekannte Momente bringen – Situationen in denen er sich unsicher fühlt und die er normalerweise vermeiden oder auf die er ablehnend und aggressiv reagieren würde. Doch dieses Verhalten hilft ihm unterwegs nicht weiter. Stattdessen muss er sich unter Begleitung und Anleitung seines Betreuers diesen Situationen stellen, da nur so eine Weiterfahrt möglich ist. Aus dem Zwang der Situation heraus müssen adäquate Handlungsweisen und Problemlösestrategien entwickelt werden.


Pädagogische Schwerpunkte des Reiseprojektes waren:

•  Steigerung des Selbstbewußtseins/Selbstwertgefühl
•  Grenzen erfahren und akzeptieren lernen
•  Selbstverantwortung erlernen
•  Verminderung von Delinquenz/dissozialem Verhalten
•  Aggressives Verhalten anderen und sich selbst gegenüber zu verhindern
•  Möglichkeiten zu geben sich neu zu orientieren und korrigierende Erfahrungen zu machen
•  Verbesserung des Selbst-  und Fremdbildes


Das Medium Mountainbike wurde gewählt, da es für Lars ein großes Maß an Mitbestimmungsmöglichkeiten eröffnet. So kann er sich selbst aktiv an der Streckenwahl beteiligen und lernt so, sich selbst und seine Kräfte besser einschätzen zu lernen. Wie aus den Akten bekannt und durch die Beobachtungen und Erfahrungen des Clearings bestätigt, gelingt es Lars nur schwer, seine Leistungsfähigkeit richtig einzuschätzen. Anstelle sich realistische und für ihn erreichbare Tagesziele zu stecken, setzt er diese sehr hoch an, so dass fast täglich Misserfolgserlebnisse mit Frustration folgen, welche sein Selbstwertgefühl start beeinträchtigen. Obwohl ihm viel gelingt, stellt sich ihm alles unter einem negativen Blickwinkel dar. Die täglichen Radetappen sollen ihm helfen, sich selbst besser einzuschätzen, seine vorhandenen Stärken zu erkennen und so seine Ressourcen auszubauen.


Auch wenn das Mountainbike fahren mit Gepäck anstrengend und anfangs neu ist, muss trotzdem keine neue Technik erlernt werden und ist für Lars auch kein unbekanntes Medium. Außerdem ermöglicht das Mountainbike, eine längere Strecke aus eigener Kraft zurückzulegen und dabei die benötigte Ausrüstung mitzuführen. Trotz der vermutlich anfangs geringen zurückgelegten Kilometeranzahl lässt sich auf der Karte ein vorwärts kommen erkennen, was für die Motivation von großer Bedeutung ist.

 

Das Reiseprojekt war als Teil einer weiterführenden intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung geplant. Als Reiseziel wurde Sibiu / Hermannstadt in Rumänien gewählt. Dies liegt einerseits in einer mit einem Rad erreichbaren Distanz und gibt andererseits das Ziel dort auch erwartet zu werden, da das KAP-Institut dort bereits über verschiedene Standprojekte verfügt. Außerdem bot sich durch die deutschsprachigen Schulen in Hermannstadt an, die Maßnahme als Standortprojekt weiterzuführen und vor Ort eine Widerbeschulung vorzubereiten und einen Schulversuch zu wagen. Aufgrund der gesellschaftlichen und sozialen Beziehungen des KAP-Institutes zu den entsprechenden Institutionen in Sibiu konnte dies auch erreicht und umgesetzt werden.

 


2.3 Zeitlicher Ablauf

 

Das Reiseprojekt mit dem Mountainbike nach Rumänien war als ein Bestandteil der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung von Lars geplant. Für die gesamte Maßnahme war folgender zeitliche Rahmen geplant:


Clearingphase  10.07. – 01.09.2002 

Verschiedene kurzzeitige Reiseprojekte
(Trekkingtour mit Karte und Kompass, Kanutor, Mountainbiketour, Bergtouren)

 

Hilfeplangespräch  02.09.2002 

Gemeinsam mit allen Beteiligten fällt die Entscheidung für das Reiseprojekt mit dem Mountainbike nach Rumänien

 

Vorbereitung 03. – 14.09.2002 

Kürzere Radtouren in die Umgebung von Regensburg und zur Mutter als Vorbereitung
Zeit zur organisatorischen Vorbereitung (Material besorgen, Räder herrichten, Einführung in Reparaturaufgaben, Packen usw.)

 

Start 15.09.2002 Start der Reise in Regensburg


Reiseverlauf 15.09. – 22.11.2002 

Von Regensburg entlang des Regens nach Bayrisch Eisenstein – Einreise nach Tschechien – entlang der Moldau nach Rozemberg – bei Freistadt Einreise nach Österreich – entlang der Donau nach Budapest – dem östlichen Streckenverlauf folgend bis Gyla nach Rumänien – über Brad, Arbud, Sebes nach Sibiu
Insgesamt ca. 2050 km


Das gesamte Gepäck wird auf den Mountainbikes mitgeführt.

 

Ankunft  22.11.2002 Ankunft in Sibiu

Standprojekt Rumänien 23.11.2002 – 25.07.2003 

Vorbereitung der Widerbeschulung in Rumänien
Anschließend Schulbesuch

 

Ende der Maßnahme 25.07.2003 Abschlussgespräch
Lars wird aus der intensiv-pädagogischen Einzelbetreuung entlassen und kann zuhause bei seiner Mutter leben – diese wird durch eine sozialpädagogische Familienhilfe unterstützt

 

Aktueller Stand 22.08.05 - Telefonat mit der Mutter  

Lars wohnt nach wie vor im Haushalt der Mutter. Es geht ihm gut und er hat sichtbare Erfolge und dauerhafte Verhaltensänderungen aus der intensiv-pädagogischen Maßnahme mitgenommen. Lars besucht seit der Intervention regelmäßig die Schule und kommt gut mit.

 

 

2.4 Sicherheitskonzept und Notfallplan

 

Um in kritischen Situationen adäquat reagieren zu können, wurde mit Lars ein Katastrophenplan aufgestellt. So wurden im Vorfeld schwierige, besonders herausfordernde und gefährliche Situationen besprochen. Lars wurde darauf hingewiesen, wie er sich bei den entsprechenden Vorkommnissen verhalten solle. So wurde ihm veranschaulicht, welches Verhalten sinnvoll und sicher ist, so dass er selbst Sicherheit gewinnen konnte. Zudem führte Lars stets Telefongeld, die Handynummer seines Betreuers und die Telefonnummern des KAP-Institutes mit sich, um jederzeit selbst Kontakt mit dem Projektleiter aufnehmen und in Notfällen Hilfe holen zu können. Diese Hinweise waren auch auf seinem Betreuungsausweis vermerkt, den Lars stets mit sich führte. Zusätzlich wurde Lars in Erster Hilfe unterwiesen.

 

 

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